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Taufe Jesu 1999

Thema: Söhne und Töchter Gottes

Lesg./Ev.: Jes 42,1-4.6-7; Mt 3,13-17

gehalten am 10.01.1999 10:30h ESB von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung

Jes 42:1 Seht, das ist mein Knecht, den ich stütze; das ist mein Erwählter, an ihm finde ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, er bringt den Völkern das Recht. 2 Er schreit nicht und lärmt nicht und läßt seine Stimme nicht auf der Straße erschallen. 3 Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den glimmenden Docht löscht er nicht aus; ja, er bringt wirklich das Recht. 4 Er wird nicht müde und bricht nicht zusammen, bis er auf der Erde das Recht begründet hat. Auf sein Gesetz warten die Inseln. ... 6 Ich, der Herr, habe dich aus Gerechtigkeit gerufen, ich fasse dich an der Hand. Ich habe dich geschaffen und dazu bestimmt, der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein: 7 blinde Augen zu öffnen, Gefangene aus dem Kerker zu holen und alle, die im Dunkel sitzen, aus ihrer Haft zu befreien.

Evangelium

13 Zu dieser Zeit kam Jesus von Galiläa an den Jordan zu Johannes, um sich von ihm taufen zu lassen. 14 Johannes aber wollte es nicht zulassen und sagte zu ihm: Ich müßte von dir getauft werden, und du kommst zu mir? 15 Jesus antwortete ihm: Laß es nur zu! Denn nur so können wir die Gerechtigkeit (die Gott fordert) ganz erfüllen. Da gab Johannes nach. 16 Kaum war Jesus getauft und aus dem Wasser gestiegen, da öffnete sich der Himmel, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube auf sich herabkommen. 17 Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.

Predigt

Liebe Christen!

Als begeisterter Karl-May-Leser habe ich schon früh Gelegenheit gehabt, die orientalische Mentalität und Denkweise kennenzulernen. Die Versuche Hadschi Halef Omars im ersten Band „Durch die Wüste", seinen geliebten „Effendi" zum wahren Glauben zu bekehren, sind mir unvergeßlich! Und gerade, weil ich heute weiß, daß dieser sächsische Volksschriftsteller erst in späten Jahren einige Orte seiner Abenteuer besucht hat, muß ich immer wieder staunen, wie gut er sich in diese fremde Welt hineinversetzen konnte.

Einiges, was ich von ihm lernen konnte, hat mir auch beim Studium der Bibel genützt. Wir vergessen ja gerne, daß praktisch die gesamte Bibel - altes und neues Testament, von Orientalen geschaffen wurde. Deshalb müssen wir Europäer auch manches falsch oder gar nicht verstehen, das in diesem Buch zur Sprache kommt.

Dazu gehört auch der Kernsatz des heutigen Evangeliums: „Dies ist mein geliebter Sohn, den ich erwählt habe."

Natürlich laufen da bei uns automatisch bestimmte Assoziationen ab, über die wir uns normalerweise keine Gedanken machen - dazu haben wir diese Stelle schon viel zu oft gehört. Aber ich traue mich zu wetten, daß diese Assoziationen falsch sind und deshalb auch zu falschen Folgerungen führen müssen. Wir können nicht so leicht aus unserer Haut heraus, und die ist nun mal nach abendländischer (also germanischer, aber auch griechisch-römischer) Tradition gewachsen.

„Sepp ist der Sohn vom Hans", „Hilde ist die Tochter der Gerda" - das sind Aussagen, die bei uns völlig eindeutig sind. Vater - Sohn, oder Mutter - Tochter - drückt vor allem ein biologisches Abhängigkeitsverhältnis aus. In einigen Fällen ist es allerdings auch ein juristisches, dann nämlich, wenn jemand einen Nichtverwandten adoptiert hat.

Auch für einen Orientalen bedeutet es eine Art „Verwandtschaft", wenn er das Wort „Sohn" oder „Tochter" gebraucht, aber nicht immer ein biologisches oder rechtliches zweier Einzelpersonen! Heute noch, wenn sich zwei Beduinenstämme durch ein Bündnis vereinen, nennt man den übergeordneten, mächtigen Stamm „Vater", den weniger bedeutenden „Sohn". Lesen Sie mal daraufhin die Vätergeschichten im Buch Genesis: wenn da von Abraham und seinem „Sohn" Isaak die Rede ist, wird häufig in Wirklichkeit von der Verbindung des mächtigeren Abrahamsstammes mit dem weniger wichtigen Isaakstamm gesprochen!

Und noch eine Art von „Verwandtschaftsverhältnis" drücken Altorientalen mit dem Wort „Sohn" oder „Tochter" aus: „Sohn des Teufels" bedeutet nämlich nicht, daß irgend ein böser Geist mit einer Menschenfrau ein Kind gezeugt hat (also einen Wechselbalg), sondern daß der Kerl durch und durch böse ist, sozusagen mit dem Bösen verwandt ist, so redet und handelt, wie wenn er der Leibhaftige selber wäre. „Tochter der Wahrheit" heißt entsprechend, daß die gemeinte Dame absolut wahrhaftig ist, daß sie nie lügen würde und daß man sich ganz auf sie verlassen kann.

Zurück zu unserer Taufszene: wenn Gott (den biblische Autoren gern mit „Himmel" umschreiben) diesen Menschen Jesus „geliebten Sohn" nennt, dann ist das im eben besprochenen Sinn zu verstehen!

Lassen wir mal Gott in heutiger Sprache reden: „Du Jesus, der du gerade durch seine Tauchtaufe symbolisch gezeigt hast, daß du ganz mit mir verbunden sein willst, daß du alles von mir Trennende „abgewaschen" haben willst, du liegt absolut richtig. Was du denkst, redest, tust, das ist ganz und gar in meinem Sinn, das ist „verwandt" mit dem, wie ich selber bin. An dir kann man förmlich ablesen, was ich, der unsichtbare Gott, sagen oder tun würde! Und das ist für die anderen Menschen wichtig, weil sie oft verbogene oder allzu menschliche Vorstellungen von Gott haben. Du Jesus, du bist in der Lage, ihnen zu zeigen, wie ich wirklich bin, deshalb bist du der „Erwählte", ich betraue dich also mit dieser Aufgabe. Du bist von „meinem Geist", von meiner Gesinnung erfüllt!"

Was aber bedeutet es: „Im Geiste Gottes handeln, in seinem Sinn leben"? Da kann uns die Lesung weiterhelfen, die wir vorhin gehört haben. Auch hier ist die Rede von einem „Erwählten", der „im Geiste" Gottes handelt (orientalisch ausgedrückt: „auf den der Geist Gottes herabgekommen ist"). Was der redet und tut, das ist „verwandt" mit dem Handeln Gottes.

Denn Gott macht keinen fertig - im Gegenteil! Wenn einer sowieso schon „geknickt" ist, wenn einer in Angst oder Schuldgefühlen gefangen ist, wenn einer blind geworden ist für die Hoffnung und für die schönen Seiten des Lebens, dann faßt er ihn bei der Hand und beschützt ihn! Dann sorgt er dafür, daß er zu seinem Recht kommt, daß er wieder aus seinem schwarzen Loch herauskommt und wieder Licht am Horizont sehen kann! Mit einem Wort: Gott ist absolute, bedingungslose und unverlierbare Liebe!

So ist Gott - und wenn irgend ein Mensch genauso denkt und handelt, dann - und nur dann! - ist er sein Sohn (oder seine Tochter), dann ist er „verwandt" mit ihm. Jesus konnte das in ganz besonderer Weise - davon legt das ganze Neue Testament Zeugnis ab, deshalb ist er auch der Sohn Gottes schlechthin, das Modell, das große Vorbild für uns alle.

Und damit haben wir einen unfehlbaren Maßstab für uns und andere. Die Fähigkeit, „die Geister zu unterscheiden", erlaubt uns zu beurteilen, ob das, was wir sagen oder tun, auch tatsächlich im Sinne Gottes ist, ob es seinem Geist entspricht. Mehr noch: damit können wir auch klar beurteilen, ob das, was manche Leitartikel in Bistumsblättern, was Mystikzeitschriften oder „Privatoffenbarungen" verkaufen wollen, wirklich „gesunde Lehre" ist. Sogar an kirchliche Vorschriften und Gesetze, an höchstoffizielle Verlautbarungen, und an Predigten kann und soll dieser Maßstab angelegt werden! Denn alles, was Angst macht, was beklemmend ist, was einengt, kann nicht im Sinne Gottes sein. Aber alles, was Vertrauen weckt, was froh macht und befreit, was heilt und heil macht - Frohe Botschaft also - all das stammt von Gott, ist mit seinem Wesen verwandt, ist „in seinem Geist"!

AMEN

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