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Neujahr 1999 - Hochfest der Gottesmutter Maria

Thema: Die schlechten ins Kröpfchen ...

Lesg./Ev.: Lk 2,16-21

gehalten am 01.01.1999 9:00h ESB von Eberhard Gottsmann, OStR

Evangelium:

15 Als die Engel sie verlassen hatten und in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Kommt, wir gehen nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden ließ.16 So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag.17 Als sie es sahen, erzählten sie, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war.18 Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten.19 Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach.20 Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatten; denn alles war so gewesen, wie es ihnen gesagt worden war.21 Als acht Tage vorüber waren und das Kind beschnitten werden sollte, gab man ihm den Namen Jesus, den der Engel genannt hatte, noch ehe das Kind im Schoß seiner Mutter empfangen wurde.

Predigt

Liebe Christen!

Die böse Stiefmutter, dieses ekelhafte Weib, behandelt das arme, liebe Aschenputtel wie eine Küchenmagd, nimmt ihr auf Anregung ihrer beiden Töchter die schönen Kleider weg, kleidet sie in Lumpen und läßt sie vom Morgen bis zum Abend schwere Arbeit tun.

Zur großen Brautschau des Prinzen, zu der alle schönen Töchter des Landes eingeladen werden, kann sie auch nicht, weil sie keine schönen Kleider mehr hat und weil die fiese Stiefmutter eine Bedingung stellt, die das arme Ding unmöglich erfüllen kann, wie sie glaubt. Sie schüttet nämlich eine Riesenschüssel voll Linsen in die Herdasche, und verlangt, daß sie die Linsen in zwei Stunden wieder ausgelesen hat. Weil sie aber so ein braves Mädchen ist, hilft ihr die Vogelwelt: alle Vögel versammeln sich um die Herdasche und beteiligen sich an der Linsen-Lese, nach dem Motto: „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen".

Wird Aschenputtel ihre Aufgabe erfüllen? Wird sie aufs Schloß gehen können, trotz fehlender Festkleidung? Wird sie am Schluß den Prinzen bekommen?

Lesen Sie doch selber in den Märchen von den Gebrüdern Grimm, wenn sie den Ausgang der Geschichte nicht kennen! Ich verrate Ihnen nicht, wie's ausgeht!

Aber etwas anderes verrate ich Ihnen: was diese Geschichte mit dem heutigen Neujahrsfest, ja sogar mit Maria, der Mutter Jesu, zu tun hat:

Wieder liegt ein ganzes Jahr hinter uns. Was ist in dieser Zeit alles auf uns eingestürmt! Wieviele Nachrichten haben wir gehört, wieviele Worte und Sätze sind in unser Ohr gedrungen, wieviele Gefühle wurden in uns wachgerufen! Versuchten wir, alles Erlebte (und Erlittene) aufzuschreiben, dann kämen wir wohl nie an ein Ende.

Gut, daß es nicht nur ein Gedächtnis gibt, sondern auch die Fähigkeit zu vergessen, sonst wären wir schon nach ein paar Tagen ganz wirr im Kopf. Eine gewaltige Informationsflut dringt jeden Tag auf uns ein, die unmöglich zu verarbeiten ist. Dazu kommt, daß das Allermeiste für uns gar nicht von Bedeutung ist, „Informationsmüll", „Herdasche" sozusagen. Nach welchem Maßstab aber sieben wir aus? Da hatte es unser Aschenputtel viel leichter: von vorneherein stand fest, daß „Linse" was Gutes ist, und „Dreck" was Schlechtes. Wir aber können die vielen Ereignisse, Erkenntnisse, Erlebnisse gar nicht mehr verarbeiten - was ist wichtig, was unwichtig?

Früher war das alles viel einfacher: die Welt „drehte sich (sozusagen) langsamer", die Ereignisse waren viel spärlicher, neue Erkenntnisse waren viel seltener und drangen erst allmählich bei der Masse des Volkes durch.

Wenn wir oberflächlich hinsehen, dann müssen wir den Eindruck haben, daß man dagegen gar nichts machen kann: es sind ja die äußeren Umstände, die sich gewandelt haben; es sind Gegebenheiten, die außerhalb unserer Verfügbarkeit stehen; und die überfluten uns heutzutage wie eine Lawine, wie eine Sturzflut.

Und doch: das heutige Evangelium spricht davon, daß es auch damals schon auf den Einzelnen ankam, was er mit all den Erfahrungen und Erlebnissen anzufangen weiß. Sehen wir mal näher hin:

Wie reagieren denn die Hirten? Zunächst heißt es, daß sie eine Engelsbotschaft erhielten. Dann wird erzählt, daß sie „rannten" - griechisch: spéusantes -, um mit eigenen Augen zu sehen, was der Gottesbote ihnen gesagt hatte; und kaum sind sie dort, sprudeln sie über von dem, was sie gesehen und gehört hatten. Sie müssen den anderen unbedingt weitererzählen, wovon ihnen das Herz voll ist, und auch müssen sie unbedingt sagen, wie ihnen zumute ist.

Von Maria heißt es aber ganz anders! Wörtlich: „Sie hielt alle diese Worte verwahrt und 'fügte sie in ihrem Herzen zusammen'".

Welch ein Unterschied: die Hirten reagieren genauso, wie wir heute. Nachricht - Sensation - Neugierde - Eile - Nachprüfen - Begeistert sein - Reden, reden, reden.

Und Maria? Um ihre Reaktion zu verstehen, muß man die tiefere Bedeutung des Wortes „Jungfrau" zugrunde legen. Jungfrau, das heißt: Offenheit, Bereitschaft, Empfänglichkeit - vordergründig und biologisch natürlich für ein Kind, im mythischen und symbolischen Sinn aber für alles, was um sie herum vor-geht und sie an-geht. Sie „sammelt" sozusagen Eindrücke, „speichert" sie und dann fügt sie die Einzelerfahrungen zusammen wie die Teile eines Mosaiks, bedächtig, sich Zeit lassend, prüfend, ob ein Teil zum anderen paßt. Manches ist auch für sie „Informationsmüll" - Unwichtiges, Peripheres. Nur - woher hat sie das Kriterium, den Maßstab für das „Zusammenfügen"? Man muß doch schließlich - wenigstens in Andeutungen - schon vorher wissen, was am Schluß dabei herauskommen soll, was dabei „ins Kröpfchen" und was dabei „ins Töpfchen" gehört!

Ein Vergleich: nehmen wir mal an, die drei älteren Geschwister haben zu Weihnachten je ein Puzzlespiel bekommen. Der Jüngste aber, immer zu Streichen aufgelegt, mischt nun alle drei Schachtelinhalte zusammen, dazu irgendwelche Tischabfälle oder Geschenkpapierfetzen. Nach üblichem Gebrüll und gehöriger Schuldzuweisung machen sich nun die drei Geschwister daran, Ordnung in das Chaos zu bringen. Sie sortieren aus, was zum Spiel gehört und was nicht, und dann natürlich auch, was nicht zu ihrem eigenen Puzzlespiel paßt. Mit Hast, mit Ungeduld geht da gar nichts. Aber wenn man bedächtig an die Sache herangeht und gar noch das Bild auf der Schachtel heranzieht, dann kann man ein Teilchen ans andere anfügen und ausprobieren, ob es paßt. Dann wird allmählich klarer, wie das Ergebnis einmal aussehen könnte - und zum Schluß kann man dann das fertige Bild bewundern.

Was im heutigen Evangelium von Maria gesagt wird, ist eigentlich gar nichts anderes. Auch sie hat ein „Zielbild" im Hinterkopf, sozusagen einen Maßstab, der ihr zeigt, was wichtig und was unwichtig ist: Dieser Maßstab ist ein „Gottesbild", das ihr Vertrauen und Offenheit ermöglicht, das Bild von einem liebenden, menschenfreundlichen und fürsorglichen Gott. Auch wenn sie momentan die „Einzelteile" noch nicht „zusammenfügen" kann, weiß sie doch: zum Schluß werden sie schon passen. Zwar wird auch sie immer wieder in eine Vertrauensprobe gestellt, wenn ihr Sohn beispielsweise Dinge tut, die in ihren Augen gefährlich sind oder die sie einfach nicht verstehen kann - Simeon spricht vom Schwert, das ihre Seele durchdringen wird - aber grundsätzlich lebt sie „jungfräulich", also offen für alles, was er ihr schickt, und bereit, alles für letztlich sinnvoll zu halten.

* * *

Neujahr 1999 - Ende des langen, ereignisreichen Jahres 1998. Wes Geistes Kind sind wir selbst?

Gehören wir zu den Hirten? Waren wir schnell begeistert von Neuigkeiten, rasch beeindruckt von Sensationen, sofort bereit, unsere Empfindungen und Erlebnisse weiterzuerzählen? Recht und schön - aber dann laufen wir Gefahr, an der Oberfläche zu bleiben. Im neuen Jahr wird es so weitergehen: wieder Neues, wieder Sensationelles; die alten Eindrücke werden beiseite gedrängt und vergessen, weil wir kein Kriterium dafür haben, was wirklich wichtig oder unwichtig für uns ist; weil wir uns keine Zeit nehmen, das Wichtige „in unserem Herzen zu bewahren" und „zusammenzufügen".

Oder gehören wir zu Menschen wie Maria? Waren wir offen, „empfangsbereit" für alles, was uns von Gott geschickt wurde - also für unser „Schicksal"? Hatten wir einen Maßstab, von dem aus wir Wichtiges und Unwichtiges unterscheiden konnten? Haben wir das Wesentliche „im Herzen bewahrt" und „zusammengefügt", mit Hilfe des „Gottesbilds" von einem liebenden und fürsorglichen Vater?

Nur durch solch eine Haltung kann sich unser „Lebenspuzzle" allmählich formieren, kann uns der Sinn unseres Daseins immer deutlicher werden, kann das Gottvertrauen wachsen, auch in der Informations- und Erlebnisflut des neuen Jahres!

AMEN

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