Lk 2,15 Als die Engel sie verlassen hatten und in den
Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Kommt,
wir gehen nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das uns der
Herr verkünden ließ. 16 So eilten sie hin und fanden Maria und
Josef und das Kind, das in der Krippe lag. 17 Als sie es sahen,
erzählten sie, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. 18
Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten.
19 Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen
und dachte darüber nach.
20 Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für
das, was sie gehört und gesehen hatten; denn alles war so
gewesen, wie es ihnen gesagt worden war.
Liebe Christen!
Johann Wolfgang von Goethe läßt zu Beginn seines Faust" den Titelhelden grübeln:
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin
Und leider auch Theologie
Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor ..."
Nachdem ihn alle diese Wissenschaften bei seiner Suche im Stich gelassen haben, versucht er es nun mit Magie:
... Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimnis würde kund,
Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß
Zu sagen brauche, was ich nicht weiß,
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält ..."
Die Sehnsucht, zum Kern, zum Innersten der Schöpfung vorzustoßen, ist nicht dem Dr. Faust zum erstenmal aufgestoßen. Auch die alten Griechen mit ihrer Philosophie, mit ihren Versuchen, die Schöpfung auf ein oder ein paar wenige Elemente zurückzuführen, sind nicht die ersten. Einige tausend Jahre früher schon suchen Ägypter und Sumerer in ihren Mythen danach, was die Welt im Innersten zusammenhält" - vielleicht kann man sogar behaupten, daß der Wunsch nach dieser Erkenntnis besteht, seit sich die Menschheit ihrer selbst bewußt geworden ist.
Wenn es so ein Prinzip gibt, dann dürfte es nicht nur für Doktoren oder Philosophen erkennbar sein. Dann müßte es jeder finden können, ob gebildet oder ungebildet. Es müßte auch überall zu entdecken sein, wo Schöpfung ist - und es müßte unmittelbar einleuchten, ohne logische Schlußfolgerungen und Gedankenakrobatik.
Vielleicht werden Sie etwas überrascht sein, aber die Antwort auf diese Menschheitsfrage haben wir eben im Evangelium gehört. Die Hirten nämlich eilen nach Betlehem, und finden Maria und Josef, und in der Krippe das Kind. Und als sie es sahen, kehrten sie zurück, rühmten und lobten Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.
Ein Kind in der Krippe - gibt es etwas, das abhängiger, verletzlicher, gefährdeter ein könnte als ein neugeborenes Kind? Und so geht Gott in unsere Menschenwirklichkeit ein, so kommt Gott in unser Fleisch und Blut. Beim rheinischen Mystiker Tersteegen heißt es: Sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeigt!" In der Geburt dieses Kindes zeigt sich uns die Liebe, die immer schon unter uns war. Endlich wird offenbar, was der Kern der Schöpfung, das Geheimnis der Welt ist: es ist die Liebe! Sie ist die Urkraft alles Lebendigen.
Wem diese Erkenntnis einmal klar geworden ist, dem fällt es wie Schuppen von den Augen: Das ist es! Das muß es sein!"
Aber ganz so einfach scheint die Sache nicht zu sein. Wenn man sie nur theoretisch betrachtet, dann wird man mit seiner Erleuchtung nicht allzuweit kommen; was notwendig ist, ist eine Art Entscheidung, die nicht im Kopf, sondern im Herzen stattfindet. Das ist auch der Grund, warum so viele Intellektuelle diesen Kern, diesen tiefsten Lebenssinn nicht finden können, und warum einfache, ungebildete Leute, Hirten" sozusagen, davon überwältigt sein können.
Das größte Hindernis aber ist die unbewußte Furcht vor den Konsequenzen: wenn mir einmal einleuchtet, daß Liebe der Urgrund der Schöpfung ist, dann kann ich nicht mehr so denken und leben wie bisher. Dann muß ich umdenken", umkehren" - ein neuer Mensch werden. Und diesen Schritt scheut gar mancher.
Im Kern der Schöpfung ist die Liebe" - das ist auch der Kern des Weihnachtsfestes. Wem das aufgegangen ist, der läßt sich nicht mehr irre machen. Auch wenn er die tägliche Gewalt, die Ungerechtigkeiten, den Kummer, die Sorgen und den Verdruß sehen und erleben muß - er vertraut darauf, daß die göttliche Liebe auch all das Böse" umschließt, und daß wider allen Augenschein doch alles gut wird.
Seht das Kind in der Krippe an, und erinnert euch: So ist Gott, Gott mit uns - was soll uns da noch passieren?
So wünsche ich Ihnen allen, für heute und fürs Neue Jahr:
Ich wünsche Dir, daß Du das Licht erkennst, das im Kern
aller Dinge lebt.
Jeder Stern am Himmel soll Dich daran erinnern, jede Blume Dich
daran gemahnen.
Keine Nacht ist endlos - der Tag wird kommen.
Die Liebe hört nimmer auf. Du kennst das Geheimnis! So lerne
wieder, froh zu sein.
AMEN
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