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5. Sonntag der Osterzeit 1999

Thema: Dienst oder Machtausübung?
Lesg./Ev.: Apg,1-6
wegen Familiengottesdienst am 02.05.99 10:30 in Eschenbach hier eine Predigt von 1993!
von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung:

6:1 In diesen Tagen, als die Zahl der Jünger zunahm, begehrten die Hellenisten gegen die Hebräer auf, weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden. 2 Da riefen die Zwölf die ganze Schar der Jünger zusammen und erklärten: Es ist nicht recht, daß wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen. 3 Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. 4 Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben. 5 Der Vorschlag fand den Beifall der ganzen Gemeinde, und sie wählten Stephanus, einen Mann, erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist, ferner Philippus und Prochorus, Nikanor und Timon, Parmenas und Nikolaus, einen Proselyten aus Antiochia. 6 Sie ließen sie vor die Apostel hintreten, und diese beteten und legten ihnen die Hände auf. 7 Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger in Jerusalem wurde immer größer; auch eine große Anzahl von den Priestern nahm gehorsam den Glauben an.

Predigt:

Liebe Christen!

Die Lesung, die wir vorhin gehört haben, ist recht aufschlußreich für uns Heutige. Sie läßt uns erkennen, daß es in der Urgemeinde von Jerusalem auch schon ganz schöne Konflikte gegeben hat, selbst wenn Lukas in seiner Apostelgeschichte immer wieder betont, daß sie prinzipiell „ein Herz und eine Seele" waren.

Der Text sagt: „Die Hellenisten begehrten eines Tages gegen die Hebräer auf, weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung übersehen wurden".

Was waren das für Leute, diese Hellenisten und diese Hebräer?

In Jerusalem gab es alteingesessene Juden, deren Muttersprache Aramäisch war (das war übrigens auch die Muttersprache Jesu!). Meist waren das konservative Leute, die treu ihren Tempelkult erfüllten und sich gewissenhaft an das Gesetz des Mose hielten. Diese Gruppe nennt Lukas „Hebräer".

Neben ihnen gab es dort auch Juden, deren Muttersprache griechisch war. Sie stammten aus Gegenden außerhalb Palästinas und hatten sich in Jerusalem angesiedelt, weil sie dem Mittelpunkt ihrer Religion nahe sein und nach ihrem Tod dort begraben sein wollten. Diese Juden, die Lukas „Hellenisten" nennt, waren genauso fromm wie die Hebräer, aber sie waren weltoffener, mehr von griechischer Bildung geprägt; wir würden sagen, sie hatten einen weiteren Horizont. Deshalb mokierten sie sich über die allzu engstirnige Gesetzesauslegung ihrer „hebräischen" Glaubensbrüder und hatten auch an deren Tempelpraxis einiges auszusetzen.

Nun hatten die Apostel aus beiden Gruppen Anhänger für das Christentum gewonnen, und beide bestanden auch unter christlichen Vorzeichen weiter. So hielten die Hellenisten ihre Gottesdienste in griechischer, die Hebräer in hebräischer bzw. aramäischer Sprache. Das wäre noch nicht so tragisch gewesen; aber die Konservativen nahmen Anstoß daran, wie die Hellenisten mit der Tradition umgingen: ihrer Meinung nach viel zu frei und zu ungezwungen. Und genauso wie heute, wo man in konservativen Kreisen häufig liberalere und offenere Christen verteufelt, hielten auch damals die konservativen Judenchristen ihre Mitbrüder nicht für so ganz gläubig. Auf kleinliche Weise zeigten nun diese Leute ihren Unmut: sie begannen, bei der Armenfürsorge die hellenistischen Witwen allmählich zu „übersehen". Logisch, daß sich die Hellenisten darüber beschwerten, denn damals war Witwenschaft gleichbedeutend mit Bettelarmut.

Interessant ist, daß die Apostel nicht - wie es heute gern geschieht - von „oben her" ein Machtwort sprechen. Sie rufen die ganze Gemeinde zusammen und machen ihr einen Vorschlag. Keine Anordnung, kein Befehl - nur ein Denkanstoß: nämlich besonders vertrauenswürdige Männer auszuwählen, die dafür sorgen sollten, daß die Verteilung gerechter zugehe. Die Gemeinde stimmt zu, und durch Gebet und Handauflegung wird ihnen die nötige Vollmacht übertragen. Auffällig ist, daß diese Sieben allesamt griechische Namen tragen. Vermutlich ist das das allerälteste Gemeindeamt der Christen - wir würden es „Diakonat" nennen - und es ist bedenkenswert, daß dieses Amt nicht durch Anordnung von oben, sondern demokratisch übertragen wurde!

Weiterhin ist wichtig, daß die Auserwählten nicht durch eine besondere Würde ausgezeichnet wurden, die sich unter den übrigen Mitchristen hervorhob. Es war ein reines Dienstamt - sie sollten ein Herz für die Not der einfachen Leute haben und sich als Anwälte der „Witwen und Waisen" fühlen. Die innere Einstellung und Begabung waren also der Maßstab für die Auswahl; sicher kam man damals noch gar nicht auf den Gedanken, daß fehlende Fähigkeiten durch eine „Weihe" ersetzt werden könnten (wie es sich manche heutzutage vorstellen).

Es wäre schön, wenn wir heute wieder auf die Ursprünge zurückkommen würden: denn damals war Liebe und nicht Macht die treibende Kraft, und sie allein schaffte es, Gegensätze zu überwinden.

Liebe, und nicht Macht würde eine Situation wie in Chur, in St. Pölten, in Wien oder anderswo gar nicht entstehen lassen - genauso wie Liebe, und nicht Macht jedem Amtsträger in der Kirche zeigen könnte, was DIENEN heißt. Das ist besonders wichtig für die, die irgend ein Amt in der Kirche anstreben, zum Beispiel die Priesteramtskandidaten, und für die, die bereits ein solches bekleiden. AMEN

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