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4. Advent 1999

Thema: Engelgruß an uns alle
Ev.: Lk 1,26-38
gehalten am 19.12.1999 09:00h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Evangelium Lk 1,26-38

1,26 Im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret 27 zu einer Jungfrau gesandt. Sie war mit einem Mann namens Josef verlobt, der aus dem Haus David stammte. Der Name der Jungfrau war Maria. 28 Der Engel trat bei ihr ein und sagte: Sei gegrüßt, du Begnadete, der Herr ist mit dir. 29 Sie erschrak über die Anrede und überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. 30 Da sagte der Engel zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast bei Gott Gnade gefunden. 31 Du wirst ein Kind empfangen, einen Sohn wirst du gebären: dem sollst du den Namen Jesus geben. 32 Er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben. 33 Er wird über das Haus Jakob in Ewigkeit herrschen, und seine Herrschaft wird kein Ende haben. 34 Maria sagte zu dem Engel: Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne? 35 Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Deshalb wird auch das Kind heilig und Sohn Gottes genannt werden. 36 Auch Elisabet, deine Verwandte, hat noch in ihrem Alter einen Sohn empfangen; obwohl sie als unfruchtbar galt, ist sie jetzt schon im sechsten Monat. 37 Denn für Gott ist nichts unmöglich. 38 Da sagte Maria: Ich bin die Magd des Herrn; mir geschehe, wie du es gesagt hast. Danach verließ sie der Engel.

Predigt

Liebe Christen!

Ich wette mit Ihnen: Wenn ein Engel bei Ihnen mitten im Wohnzimmer stünde - Sie würden ihn nicht erkennen! Ich meine damit nicht, daß wir Unsichtbares halt nicht sehen können. Ich meine auch damit nicht, daß wir heute - im Gegensatz zu den Menschen früher - überhaupt keine Engel mehr sehen können. Ich meine damit etwas ganz anderes, und ich will es ihnen kurz erklären:

Das Wort 'Engel' ist kein ursprünglich deutsches Wort. Wir haben es aus dem Griechischen entlehnt, wo es ángeloi, Bote heißt. Im Neuen Testament wird ángeloi meist im engeren Sinn verwendet: es bedeutet dann 'Bote Gottes'.

In unserer Verkündigungsgeschichte läßt Lukas solch einen Gottesboten auftreten. Allein schon sein Name läßt aufhorchen: Gabri'el bedeutet 'Gott hat sich stark gezeigt'. Ein Bote Gottes - jeder Bote - spricht sozusagen für seinen Auftraggeber; es ist, als spräche Gott selbst zu Maria: „Du bist begnadet, voll der Gnade" - oder mit heutigen Worten: „Du bist total geliebt von der ewigen Liebe selbst".

Wir neigen dazu, diesen Gruß auf Maria zu beschränken. Aber in Wahrheit gilt er jedem von uns: „Du bist total von Gott geliebt". Es ist ja die Sehnsucht jedes Menschen, bedingungslos, total geliebt zu sein, und wer uns solche Botschaft bringt, ist ein Bote der Liebe Gottes, ein Engel.

Wir spüren es schon gar nicht mehr, wenn uns jemand so eine Botschaft vermittelt. Den „Engel im Wohnzimmer" oder im Gewühl einer Großstadt oder wo auch immer bemerken wir meist überhaupt nicht. Dabei ist alles, was Liebe, selbstlose Liebe vermittelt; alles, was uns glücklich macht und Freude schenkt, in diesem Sinn ein Bote Gottes, ein Engel.

Noch ein Wort in der Verkündigunsszene sollten wir genauer betrachten: Gott kommt durch den Boten zu einer Jungfrau! Weder Lukas noch mich interessiert dabei die biologische Bedeutung dieses Wortes, sondern das, was „Jungfrau sein" eigentlich bedeutet. „Magd des Herrn" spiegelt genau dasselbe wider: ein Mensch, der ganz und gar offen, empfänglich für Gott ist, dessen Wille mit dem Willen Gottes zusammenfällt. Nun wird auch klar, warum Gott nur zu „jungfräulichen" Menschen kommen kann: da Gott in seiner Liebe niemals zwingt, ist er auf unsere Bereitschaft, auf unsere Offenheit und „Empfangsbereitschaft" angewiesen. Jemand hat einmal den Vergleich gebracht: der Mensch hat zwei Türen; die eine öffnet Gott - die andere muß der Mensch selber öffnen.

Diese Offenheit Gott gegenüber ist allerdings gefährlich. Sie hat stets Konsequenzen, und nie solche, die der Mensch planen oder gar in Griff bekommen kann. Gott denkt und handelt anders als wir, und darauf müssen wir uns einstellen. Gott braucht uns, um durch uns handeln zu können, aber nie für sich, sondern immer für die anderen Geschöpfe. Liebe ist nie eigennützig, sie hat keine versteckten egoistischen Motive - und daher ist von vornherein anzunehmen, daß diese Konsequenzen oft unbequem oder gar unangenehm sein werden.

Bei Maria ist das besonders kraß zu merken: ihr mutet Gott zu, eine uneheliche Mutter zu sein; deshalb von Nachbarn und Bekannten verachtet zu werden; den „guten Ruf", vielleicht sogar den Bräutigam zu verlieren.

Leute, die sich für Gott offenhalten, die ihn durch sich wirken lassen, geschieht es nicht viel anders. Sie werden für „blöd" gehalten, belächelt, mißverstanden - manchmal sogar für „unchristlich", „unmoralisch" oder ketzerisch; und hin und wieder - wie wir am Beispiel Jesu sehen können - werden sie gehaßt und sogar „eliminiert". Vielleicht gehe ich jetzt zu weit, aber ich behaupte: auf Dauer kann es mit der Beliebtheit oder der Popularität nicht gutgehen, wenn ich mich nicht an den Massenvorstellungen, am Publikumsgeschmack orientiere, sondern an der inneren Stimme, die mich immer wieder auffordert, dem Willen Gottes gemäß zu leben und zu handeln.

Die „Werke des Fleisches", wie Paulus sagt, oder „die Werke der Finsternis", wie Johannes es nennt, oder „die Handlungen der Vernunft", „die Maßstäbe dieser Welt" sind auf Dauer nicht vereinbar mit den „Werken des Geistes", also mit dem, was Gott von uns verlangt. Daß lautere Liebe in den Augen der Welt scheitert, das sagt uns jedes Wegkreuz, jedes Kreuz in Klassen- und Wohnzimmern. Klar, daß es peinlich ist, immer wieder daran erinnert zu werden. Aber es zeigt uns auch, daß Liebe niemals aufgibt, selbst wenn es einem dabei an den Kragen geht.

Maria - und wir genauso - erfährt also, daß sie total von Gott angenommen und geliebt ist. Da sie „jungfräulich", also offen und aufnahmebereit ist, läßt sie Gott mit sich machen, was ER für richtig hält, und versteift sich nicht auf das, was SIE sich vorstellt. Äußerlich gesehen war es ein Fehler, sich Gott zur Verfügung zu stellen, denn ihr Leben wurde dadurch ganz und gar nicht einfach: zuerst ledige Mutter, dann Mutter eines Verbrechers. Oft kann Maria überhaupt nichts verstehen; weder Herodes, der ausgerechnet ihr Kind umbringen will, noch später die Schriftgelehrten und Pharisäer, die ausgerechnet ihren Sohn beseitigen wollen, noch auch Jesus selbst, der sich oft genug um Kopf und Kragen redet. Aber auch da geht es ihr wie uns: Gott läßt sich nicht in die Karten schauen; alles, was er verlangt, ist unbedingtes Vertrauen, daß es letztlich doch gut für uns ist, was er durch uns bewirkt.

Vielleicht tröstet es uns, daß wir manchmal wie Maria - wenn es auch oft nur ein ganz klein wenig ist - im Nachhinein verstehen können, wie phantasievoll und heilsam die Liebe Gottes wirkt.

AMEN

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