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3. Fastensonntag

Thema: Eine gelehrige Schülerin

Lesg./Ev.: Joh 4,5-42

gehalten am 06.03.99 18:30 Uhr in Pressath und am 07.03.99 09:30 Uhr in Pressath

von Eberhard Gottsmann, OStR

Liebe Christen!

Zu den schönsten Erzählungen des Johannesevangeliums zählt die Geschichte von der Samariterin am Brunnen, die wir heute hören werden. Sie ist es wert, unter die Lupe genommen zu werden - und deshalb werde ich diese Schriftstelle einmal anders als gewohnt - nämlich kommentiert - vortragen. Dabei bitte ich Sie, ausnahmsweise sitzen zu bleiben.

Johannes erzählt im 4. Kapitel:

3 Jesus verließ Judäa und ging wieder nach Galiläa. 4 Er mußte aber den Weg durch Samarien nehmen.

Merkwürdig! Ein normaler, frommer Jude hätte das ganz anders gemacht: er hätte lieber den Umweg auf der Ostseite des Jordans auf sich genommen, bevor er durch diese Gegend marschiert wäre. Und warum? Bei den strenggläubigen Juden zur Zeit Jesu galten die Bewohner Samariens als „Ungläubige", sozusagen als „Protestanten". Zur Zeit der assyrischen Könige - etwa 700 Jahre vorher - wurde hier in dieser Landschaft allerlei Volk angesiedelt („Aussiedler" sozusagen). Diese Leute bemühten sich zwar bald, den Glauben der Juden anzunehmen, wurden aber nie so recht akzeptiert. Nachdem man ihnen auch noch den Zugang zum Jerusalemer Tempel versagt hatte, bauten sie sich kurzentschlossen selber ein Heiligtum auf dem Garizim-Berg; und damit war der Graben erst so richtig aufgerissen. Es kam durchaus vor, daß Juden angepöbelt wurden - andererseits verachteten die Juden dieses „Heidenvolk".

Es heißt nun weiter:

5 So kam er zu einem Ort in Samarien, der Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. 6 Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. 8 Seine Jünger waren nämlich in den Ort gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen.

Wir sind in der glücklichen Lage, ziemlich genau angeben zu können, wo sich die Geschichte abspielt. Das erwähnte Sychar ist nämlich identisch mit einem Dorf namens Askar, am Fuß des Ebal-Berges, und der Jakobsbrunnen befindet sich etwa eineinhalb Kilometer außerhalb des Dorfes. Eine ganz schöne Strecke, um Wasser zu holen - denn Wasserleitungen hatte man damals in so kleinen Ortschaften noch nicht. Normalerweise gingen gleich mehrere Frauen zusammen, um mit dem Krug auf dem Kopf sich die Zeit mit Plaudereien zu vertreiben. Diesmal aber ist es anders: eine einzelne Frau hat sich auf den Weg gemacht:

7 Da kam eine samaritische Frau, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: Gib mir zu trinken!

Einem damaligen Juden dürfte das Herz stehen geblieben sein, wenn er das las. Das darf doch nicht wahr sein: Jesus redet eine fremde Frau an! Das verstößt doch gegen jedes gute Benehmen. Wenn man weiß, daß ein echter Rechtgläubiger nicht einmal die eigene Frau ansprach, wenn er sie zufällig auf der Straße traf, dann ahnt man, wie sehr sich Jesus danebenbenimmt. Und noch viel schlimmer: diese Frau gehört zu den verhaßten „Ungläubigen"! So wundert es uns nicht, daß auch die Frau aus allen Wolken fällt:

9 Die samaritische Frau sagte zu ihm: Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um Wasser bitten? Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.

Jesus geht überhaupt nicht darauf ein. Er hat etwas Bestimmtes mit dieser Frau vor. Scheinbar zusammenhangslos sagt er:

„Wenn du wüßtest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du ihn gebeten, und er hätte dir lebendiges Wasser gegeben."

Während wir schon wissen, worauf Jesus hinauswill, kann die Frau natürlich überhaupt keine Ahnung haben. In ihren Ohren hört sich das Gesagte so an: „Ich habe etwas, was du nicht hast: nämlich frisches, sprudelndes Quellwasser! „Lebendige Wasser" heißen nämlich im Orient Quellen, im Gegensatz zum „toten" Brunnen- oder Zisternenwasser. Aber nun ist ihre Neugierde geweckt:

11 Sie sagte zu ihm: Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? 12 Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?

Mit anderen Worten: Unser Vorfahre Jakob hat ja schon etwas großartiges geleistet, als er dieses Grundwasservorkommen entdeckte und einen Brunnen grub - außerdem: du kannst ja nicht mal aus dem Brunnen Wasser schöpfen, weil du kein Seil und keinen Eimer hast - und da redest du von einer frischen Quelle? Natürlich muß die Frau so denken - aber sie ist auf der falschen Fährte. Jesus meint nämlich nicht „H2O", materielles Wasser also, sondern etwas Übertragenes, Geistiges:

13 Jesus antwortete ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; 14 wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.

Uns ist sofort klar: Jesus redet von einem seelischen Durst, von einer Sehnsucht, die jeder Mensch in sich trägt: der Sehnsucht nach ewigem, unverlierbarem Geliebtsein, nach dauerhaftem Glück und unvergänglichem Leben. Und - wenn wir überzeugte Christen sind, dann wissen wir auch, daß Jesus diese Sehnsucht stillt, indem er uns sagt und zeigt: „Gott liebt jeden von euch mit unendlicher, bedingungsloser und unverlierbarer Liebe." Und wir haben auch schon erlebt, daß jemand, der von dieser Frohen Botschaft überzeugt ist, auch für andere zur „Quelle" der Befreiung, der Erlösung werden kann. Aber woher soll diese Samariterin das wissen? Sie bleibt immer noch an der wörtlichen Rede hängen:

15 Da sagte die Frau zu ihm: Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierher kommen muß, um Wasser zu schöpfen.

Es klappt einfach nicht. Diese naive, einfache Frau kommt einfach nicht weg von ihrem materiellen Denken. „Aha, dieser Mann hat ein Zauberwasser!" Natürlich wäre es toll, so ein Wässerchen zu haben: da könnte man sich die 1 ½ km Fußweg sparen, die man oft mehrmals am Tag zurücklegen muß. Aber eins ist deutlich: Im Gegensatz zu Nikodemus, über dessen Gespräch mit Jesus kurz vorher die Rede war, glaubt sie, vertraut sie diesem für sie Fremden. Sie glaubt zwar an einen abergläubischen Unsinn, aber immerhin ist sie offen für die Person Jesu. Nun probiert es Jesus auf einem anderen Weg:

16 Er sagte zu ihr: Geh, ruf deinen Mann, und komm wieder her! 17 Die Frau antwortete: Ich habe keinen Mann. Jesus sagte zu ihr: Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. 18 Denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt.

Jetzt hat er aber einen Volltreffer gelandet:

19 Die Frau sagte zu ihm: Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist.

Den geistigen Höhenflügen von vorhin konnte die einfache Frau nicht folgen, aber das erkennt sie: dieser Mann ist etwas Besonderes. Ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben stellt dieser ungewöhnliche Mensch einfach die Tatsache fest, daß meine Sehnsucht nach Glück und Geborgenheit noch bei keinem einzigen Mann Erfüllung gefunden hat. Der kennt mich durch und durch, der muß eine tiefe Verbindung mit Gott haben. Wenn das so ist, dann kann er mir ja endlich eine Antwort auf eine uralte Streitfrage geben!

Sie sagt:

20 Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muß.

21 Jesus sprach zu ihr: Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. 23 Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden. 24 Gott ist Geist, und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.

Ich weiß nicht, ob diese theologisch ungeschulte Frau den hohen Gedanken folgen konnte. Aber eines dürfte sie verstanden haben: „Du brauchst weder hier noch anderswo einen Tempel. Denn zu Gott hast du einen direkten Draht, du kannst immer mit ihm in Verbindung treten, wo immer du auch bist."

Aber falls die Frau denken sollte: „Aha, dann haben also wir Samaritaner den wahren Glauben!" bremst er sie ein wenig her:

„22 Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden."

Mit anderen Worten: „Vergiß nicht: alles was du vom wahren Gott weißt, hast du ja von den Juden übernommen, denen Gott sich besonders geoffenbart hat!"

Wie zur Bestätigung sagt sie:

„25 Ich weiß, daß der Messias kommt, das ist: der Gesalbte (Christus). Wenn er kommt, wird er uns alles verkünden."

Auch das hat sie nämlich von den Juden gehört: alle Streitfragen, die nicht einmal die Gelehrten lösen können, wird einmal der Messias beantworten, wenn er kommt.

26 Da sagte Jesus zu ihr: Ich bin es, ich, der mit dir spricht.

„Ich habe es doch die ganze Zeit gefühlt, ich habe es doch schon längst geahnt: dieser Mann muß der Messias sein! Das wäre doch fantastisch, wenn endlich der Messias da wäre! Und ich habe ihn als erste entdeckt! Das muß ich aber sofort weitererzählen!"

28 Da ließ die Frau ihren Wasserkrug stehen, eilte in den Ort und sagte zu den Leuten: 29 Kommt her, seht, da ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist er vielleicht der Messias? 30 Da liefen sie hinaus aus dem Ort und gingen zu Jesus.

Die gute Frau ahnt gar nicht, wie zeichenhaft ihre Handlung ist: ihren Wasserkrug, Symbol für den im Grunde unstillbaren, da irdischen „Durst", Symbol für all die unerfüllten Sehnsüchte, braucht sie nicht mehr - sie kann ihn stehen lassen.

Nun heißt es weiter:

39 Viele Samariter aus jenem Ort kamen zum Glauben an Jesus auf das Wort der Frau hin, die bezeugt hatte: Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe. 40 Als die Samariter zu ihm kamen, baten sie ihn, bei ihnen zu bleiben; und er blieb dort zwei Tage. 41 Und noch viel mehr Leute kamen zum Glauben an ihn aufgrund seiner eigenen Worte. 42 Und zu der Frau sagten sie: Nicht mehr aufgrund deiner Aussage glauben wir, sondern weil wir ihn selbst gehört haben und nun wissen: Er ist wirklich der Retter der Welt.

So geht es im Grunde immer, wenn jemand zum Glauben an die unendliche Liebe Gottes kommt: er steckt andere mit seiner Begeisterung an - wird dadurch auch für andere zur Quelle - aber schließlich brauchen die Neubekehrten den Vermittler gar nicht mehr, weil sie sich selber von der inneren Wahrheit überzeugen konnten: „Ja, das ist es, wonach ich eigentlich immer schon gedürstet, mich immer schon gesehnt habe: von Gott unverlierbar, bedingungslos geliebt zu sein! Und Jesus ist der, dem wir diese Erlösung zu verdanken haben!"

AMEN

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