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21. Jahressonntag

Thema: Schlüssel zum Zusperren?
Lesg./Ev.: Mt 16,13-20
gehalten am 22.08.1999 10:30h in Eschenbach
von E. Gottsmann, OStR

 

Evangelium

13 Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine Jünger: Für wen halten die Leute den Menschensohn? 14 Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. 15 Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? 16 Simon Petrus antwortete: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes! 17 Jesus sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. 18 Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. 19 Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein. 20 Dann befahl er den Jüngern, niemand zu sagen, daß er der Messias sei.

Predigt

Liebe Christen!

Petrus als Himmelspförtner - eine verbreitete Vorstellung. Bei fast jedem Witz, bei fast jedem Theaterstück, wo es um den Himmel geht, wird Petrus so dargestellt. Und woher diese Darstellungsweise kommt, ist klar: sie geht auf die Stelle des heutigen Evangeliums zurück, wo Jesus dem Simon die Schlüssel des Himmelreiches überträgt.

Ich muß allerdings ehrlich sagen, daß mir bei dieser Schriftstelle ein wenig das Grausen kommt. Da ich die Kirchengeschichte ein wenig kenne, weiß ich, welche Rolle die „Schlüsselgewalt" des Papstes bei der Begründung päpstlicher Machtansprüche gespielt hat, nicht nur den mittelalterlichen Kaisern gegenüber!

Wir alle wissen, wie leicht die Bibel für die verschiedensten Interessen mißbraucht werden kann: erinnern Sie sich noch, wie beim Streit um die WAA Gegner wie Befürworter sich auf Bibeltexte gestützt haben? Darum ist es so ungemein wichtig, alle Aussagen der Bibel so zu verstehen, wie es dem Geist Christi entspricht.

Das neutestamentliche Bildwort von den Schlüsseln geht auf den Propheten Jesaja zurück, den vom Verwalter des Jerusalemer Königshauses namens Eljakim spricht, den Gott als seinen Knecht bezeichnet und von dem er sagt: „Ich lege ihm die Schlüssel des Hauses David auf die Schulter. Wenn er öffnet, kann niemand schließen, wenn er schließt, kann niemand öffnen". Im Neuen Testament wurde diese Stelle auf Christus bezogen, der sich in der Geheimen Offenbarung vorstellt: „So spricht der Heilige, der Wahre, der den Schlüssel Davids hat ..."

Der eigentliche Inhaber der Schlüsselgewalt ist also Christus, der über die Teilnahme oder den Auschluß vom himmlischen Jerusalem bestimmt.

Petrus, als Vertreter der christlichen Gemeinde, darf an dieser Vollmacht teilhaben. Natürlich soll er es nicht so machen wie jüdische Schriftgelehrte, von denen Jesus einmal empört feststellt: „Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich. Ihr selbst geht nicht hinein, aber ihr laßt auch die nicht hinein, die hineingehen wollen." Nein - Petrus ist nicht zum Schließen da, sondern zum Er-Schließen, zum Öffnen berufen. Er soll nicht einen elitären Kultverein leiten, sondern eine Kirche, die allen Menschen guten Willens offensteht.

Und so hat Petrus auch tatsächlich gehandelt. An Pfingsten er-schließt er den Menschen das Gottesreich durch eine begeisterte Predigt; er er-schließt dem heidnischen Hauptmann Cornelius Zugang zur Gemeinde und beim Apostelkonzil bewirkt er durch sein Zeugnis, daß den Heiden die Tür weit aufgetan wird, nachdem Paulus kräftig dafür plädiert hat.

Petrus - und seine Nachfolger - tragen also die Verantwortung dafür, daß die Menschen mit der Lehre Christi bekannt gemacht werden und daß sie sich angezogen fühlen von der Frohen Botschaft, die Christus gelehrt und vorgelebt hat.

Diese Verantwortung aber muß und kann Petrus nicht alleine tragen. An anderer Stelle des gleichen Evangeliums spricht nämlich Christus der ganzen Gemeinde die Binde- und Lösegewalt zu. Da heißt es: „Alles, was IHR auf Erden binden werdet - alles, was IHR auf ERden lösen werdet." (Mt 18,18)

Der Begriff „Binde- und Lösegewalt" stammt aus dem Vokabular jüdischer Rabbinen.

Damit meinte man die Vollmacht, die Tora, das Gesetz verbindlich auszulegen; Normen zu sanktionieren oder Ausnahmen zu erlauben. Entscheidend für diese Auslegung war der Grundsatz: „Gebote sind von Gott gegeben, damit der Mensch durch sie lebe!"

Binden und Lösen sind also Lebenshilfen für den Himmel auf Erden: der Zwanghafte, der von Schuld oder Angst Gefesselte braucht Lösung, der Haltlose, der Orientierungslose braucht Bindung an einen Lebenssinn, an Gott. Grundprinzip ist dabei stets die Schlüsselgewalt, die „aufschließende Kraft" der absoluten und unverlierbaren Liebe Gottes.

Jeder von uns hat in gewisser Weise die Schlüssel des Gottesreiches in der Hand. Jeder von uns hat die Möglichkeit, bestimmten Menschen den Zugang zu Jesus zu erschließen oder zu versperren, sie noch mehr in die Unfreiheit hineinzutreiben oder sie zu er-lösen, zu befreien.

Es geht also beim heutigen Evangelium gar nicht um die Würde eines einzelnen Kirchenmannes, sondern um die Verantwortung jedes einzelnen Christen. Uns allen hat Christus sein Werk übergeben. Und uns alle - nicht nur den Papst - wird er einmal fragen, wie wir mit den Schlüsseln des Himmelreiches umgegangen sind.

Amen

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