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1. Advent 1999

Thema: Reiß doch die Himmel auf!
Lesg./Ev.: Jes 63,16b-17.19b;64,3-7
gehalten am 28.11.1999 10:30h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung

63, 16b Du, Herr, bist unser Vater, «Unser Erlöser von jeher» wirst du genannt. 17 Warum läßt du uns, Herr, von deinen Wegen abirren und machst unser Herz hart, so daß wir dich nicht mehr fürchten? Kehre zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Eigentum sind.
19b Reiß doch den Himmel auf, und komm herab, so daß die Berge zittern vor dir.
64, 3 Seit Menschengedenken hat man noch nie vernommen, kein Ohr hat gehört, kein Auge gesehen, daß es einen Gott gibt außer dir, der denen Gutes tut, die auf ihn hoffen. 4 Ach, kämst du doch denen entgegen, die tun, was recht ist, und nachdenken über deine Wege. Ja, du warst zornig; denn wir haben gegen dich gesündigt, von Urzeit an sind wir treulos geworden. 5 Wie unreine (Menschen) sind wir alle geworden, unsere ganze Gerechtigkeit ist wie ein schmutziges Kleid. Wie Laub sind wir alle verwelkt, unsere Schuld trägt uns fort wie der Wind. 6 Niemand ruft deinen Namen an, keiner rafft sich dazu auf, festzuhalten an dir. Denn du hast dein Angesicht vor uns verborgen und hast uns der Gewalt unserer Schuld überlassen. 7 Und doch bist du, Herr, unser Vater. Wir sind der Ton, und du bist unser Töpfer, wir alle sind das Werk deiner Hände.

Predigt

Liebe Christen!

„Gottesferne" - so könnte man den Text der heutigen Lesung überschreiben. Gott ist nicht da, nicht er-lebbar, der „Himmel ist verschlossen". Die Menschen machen, was sie wollen - und Gott greift nicht ein. Er läßt sie ins Verderben laufen, überläßt sie wie Schweine ihrem Schmutz. Haltlos sind sie, gottlos, und in ihrer „Verhärtung" versucht auch keiner, sich aus dem Dreck herausziehen zu lassen.

Reiß doch den Himmel auf und steig herab! Räum doch mit all der Ungerechtigkeit und Gemeinheit auf, wie ein Erdbeben, das selbst die Berge wanken läßt! Es hat doch schon ganz andere Zeiten gegeben: da hast du sofort geholfen, wenn dich jemand gebeten hat! Und wenn jemand nach deinem Willen gehandelt hat, bist du ihm ohne Zögern begegnet und hast dich „erspüren" lassen!

Nun ja, was können wir schon erwarten. Wir sind ja nur der Ton, und du bist der Töpfer. Wir haben nichts zu verlangen oder gar zu fordern.

So resigniert spricht der Autor unserer Lesung. Auch wenn er unter dem Namen „Jesaja" läuft - es ist nicht der große Prophet zur Zeit der Assyrerherrschaft im 8. Jahrhundert vor Christus. Es ist ein unbekannter Jude, der längere Zeit nach dem babylonischen Exil wieder in Palästina lebt, der den provisorischen Wiederaufbau des Tempels und die mühevollen Versuche, sich im zerstörten Land wieder einzuleben, mitbekommen hat. Der große Schock, daß Gott sein Volk verlassen und erlaubt hatte, daß das Land von den Babyloniern zerstört und die Oberschicht ausgesiedelt werden konnte, steckt ihm noch tief in den Knochen.

Jetzt sind wir zwar - durch gütige Erlaubnis und Förderung des Perserkönigs - wieder im Lande; aber hat sich irgendetwas zum Guten gewendet? Die Leute haben nichts aus der Geschichte gelernt. Religiös verkommen, gottlos sind sie, und die Ausbeutung der Armen, der Betrug an Mitjuden, die ungerechte Behandlung einfacher Leute ist nicht geringer, sondern eher schlimmer geworden. Und Gott? Der läßt sich nicht blicken. Sein Versprechen, seinem Lieblingsvolk die Treue zu halten, hat er nicht gehalten.

Kein Wunder, daß „Tritojesaja", wie man den unbekannten Autor nennt, resignierend mit den Schultern zuckt: „Wir sind der Ton, du bist unser Töpfer. Was soll man da schon machen?".

Mir ist bei der Lektüre dieses Textes, als hätte ich ähnliche Worte schon mal gehört, und zwar nicht von längst vermoderten alttestamentlichen Propheten, sondern von durchaus lebendigen Zeitgenossen. „Schau dich doch um: überall Beschiß und Betrug! Du bekommst kaum mal Ware, die ihr Geld wirklich wert ist, nur schlampig gearbeitetes Zeug! Manche Firmen bauen schon bei der Herstellung „Sollbruchstellen" ein, um mehr Umsatz zu machen. Und die Rechtssprechung? Da lache ich ja: die Großen läßt man laufen, und den kleinen Leute brummt man übermäßige Strafen auf. Politiker, die abertausende von Menschen, Not und Elend auf dem Gewissen haben, laufen frei herum, und eine Frau, deren Scheckkarte geklaut wurde, soll wegen „Betrugs" ins Gefängnis, nur weil die Banken nicht zahlen wollen! Leute, deren Verdienst kaum zum Leben reicht, werden hoch versteuert, während millionenschwere Bonzen, die nicht einmal für ihr Geld arbeiten müssen, dem Fiskus durch tausend Maschen entschlüpfen können! Und was passiert mit Jugendlichen, die grundlos fremder Leute Sachen zerstören oder Passanten zusammenschlagen? Die läßt man entweder laufen oder mit lächerlichen Strafen davonkommen, weil sie zwar alt genug sind, Unheil anzurichten, nicht aber das erforderliche Alter haben, für ihre Verbrechen gradezustehen! Warum greift denn Gott nicht ein?"

Sie sehen an meiner kleinen Auswahl, daß wir heute gar nicht so weit von alttestamentlichen Klagen entfernt sind. Die Zeiten haben sich im Grunde nicht viel geändert - und auch die Resignation ist nicht geringer geworden. „Warum greift den Gott nicht ein?"

Hier finden wir den tiefsten Grund, warum Jesus mit seiner Botschaft scheitern mußte (und auch heute noch scheitert). Wir Menschen erwarten einen Retter, einen Messias oder wie ich ihn immer nennen will, der im Auftrag Gottes eine radikale Änderung bewirkt, der mit Gewalt mit all den Egoismen, Rücksichtslosigkeiten und Verbrechen aufräumt. Aber Jesus hat das nicht getan: schon Johannes der Täufer war von ihm enttäuscht. Auch er hatte einen „eisernen Besen" und ein verzehrendes Feuer erwartet - warum hat Jesus diese Erwartungen nicht erfüllt? Er konnte sie gar nicht erfüllen, weil ein solches Verhalten dem Wesen Gottes, und damit seinem eigenen Wesen widersprochen hätte. Wie oft wird über die Liebe Gottes gepredigt - und wie oft wird nicht konsequent weitergedacht. Liebe kann nämlich nicht zwingen; derselbe Gott, der dem Menschen die Freiheit geschenkt hat, damit dieser fähig wird, ihn als Partner zurückzulieben, kann sie doch nicht mit einer Handbewegung wieder vom Tisch fegen! Darin besteht ja gerade unsere menschliche Größe - aber auch unser Elend - daß wir für unser Tun und Lassen selbst verantwortlich sind. Liebe kann das Heil nur anbieten, sie kann nur Wege aufzeigen, die uns guttun würden - ob es der freie Mensch auch annimmt, das liegt allein in seiner freien Verantwortlichkeit.

Gewiß: Freiheit kann auch mißbraucht werden, zum eigenen oder zum Schaden anderer. Aber Gott - und damit Jesus - scheint das die Freiheit wert zu sein. Vielleicht sollte das auch bei der ewigen Diskussion um den Beratungsschein berücksichtigt werden; denn im Grunde ist auch eine Beratung (mit oder ohne schriftliche Bestätigung) nur ein Angebot, das die Freiheit der Schwangeren - zum Guten oder zum Bösen - nicht beeinträchtigen darf. Wenn Gott dem Menschen die Freiheit läßt - und zwar um jeden Preis! - müssen wir, sowohl Papst, als auch Bischöfe, Priester und Laien, diese Freiheit respektieren! Verstehen Sie mich ja nicht falsch! Auch für mich ist der Schutz des Lebens, und vor allem der des ungeborenen Lebens, höchstes Gut! Und dadurch, daß sich jemand in seiner gottgegebenen Freiheit für eine Abtreibung entscheidet, ist sie deshalb noch lange nicht „in Ordnung"! Aber Gott hat niemandem - niemandem! - das Recht gegeben, anderen die Freiheit oder die Verantwortung wegzunehmen, auch wenn der andere sie zum Bösen mißbraucht!

AMEN

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