Liebe Christen!
Im Jahre 1209, also zur Zeit, als der heilige Franz von Assisi arm wie ein Bettler durch die Lande zog und Vögeln und Menschen predigte, zur Zeit, als der heilige Dominikus Irrgläubigen die Wahrheit predigte, zur Zeit, als die Minnesänger Walter von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach hehren Damen Ständchen sangen, hatte eine belgische Nonne immer wieder den selben Traum. Sie sah eine Mondscheibe, die über und über glänzte - aber an einer Stelle war ein dunkler Fleck. Zugleich fühlte sie, was diese Vision bedeuten sollte: im strahlenden Jahreskreis der kirchlichen Feste fehlte eines, das die Eucharistie gebührend feierte. Sie bedrängte zusammen mit ihrem Beichtvater den Bischof von Lüttich, bis er endlich nachgab und im Jahr 1246 zum erstenmal ein solches Fest in seiner Diözese feiern ließ. Nach fast 20 Jahren hat es dann Papst Urban IV. (der früher in Lüttich tätig war!) für die gesamte Kirche vorgeschrieben. Kein geringerer als der hochgelehrte Thomas von Aquin, dessen Gedanken heute noch die Theologie der Kirche mitbestimmen - ob sie veraltet sind oder nicht -, wurde beauftragt, die Texte für diese Feier zu schreiben. Sein "Lauda, Sion, Salvatorem" singen wir immer noch, allerdings besser bekannt unter der deutschen Fassung "Deinen Heiland, deinen Lehrer".
Was waren und sind nun die Grundgedanken dieses Festes? Es geht - wie wir gehört haben - um die Einsetzung der Eucharistie beim Letzten Abendmahl.
Aber genügt es denn nicht, wenn man am Gründonnerstag der Einsetzung des Altarsakramentes gedenkt?
Irgendwie hat jeder das Gefühl, daß am Gründonnerstag keine rechte Festfreude aufkommen kann. Dieser Abend leitet ja den Karfreitag ein; man denkt eher an die schrecklichen Stunden am Ölberg und an die Gefangennahme Jesu als an die freudige Erneuerung des Alten Bundes. Deshalb hat man sich überlegt: Es wäre doch der Bedeutung dieses Sakramentes angemessen, wenn man es noch einmal, diesmal aber unbelastet von den Kartagen, nachfeiern würde.
Nun aber zu den Grundgedanken dieses Festes. Thomas von Aquin meint, man könne das Sakrament der Eucharistie unter drei Gesichtspunkten sehen: unter dem Aspekt der Vergangenheit - als Gedächtnis des Leidens und Todes Christi, als Opfer für uns sündige Menschen also; unter dem Aspekt der Gegenwart - daß dieses Sakrament uns mit Christus und untereinander vereint; und unter dem Blickwinkel der Zukunft: als eine Art Vorauszeichen dafür, daß wir einmal mit Gott für immer verbunden sein werden.
Wenn Sie aufmerksam den Texten des heutigen Gottesdienstes gefolgt sind, haben Sie sicherlich im Tagesgebet den Aspekt der Vergangenheit entdeckt: "...im wunderbaren Sakrament des Altares hast du uns das Gedächtnis deines Leidens und deiner Auferstehung hinterlassen." Die Gegenwart wird dann im Gabengebet angesprochen: "Schenke deiner Kirche, was diese Gaben geheimnisvoll bezeichnen: die Einheit und den Frieden" und das Schlußgebet endlich nennt den Blickwinkel der Zukunft: "der Empfang deines Leibes und Blutes ist für uns ein Vorgeschmack der kommenden Herrlichkeit. Sättige uns im ewigen Leben durch den vollen Genuß deiner Gottheit." Sie sehen: unsere Liturgiker haben sich etwas einfallen lassen, um die Gedanken des großen Thomas von Aquin im Bewußtsein der Gläubigen zu verankern.
Warum aber tragen wir die konsekrierte Hostie durch die Straßen? Das war keineswegs immer so; zuerst gab es überhaupt keinen Umzug an diesem Fest. Aber im Lauf der Zeit haben sich in Deutschland die Elemente der Flur- und Bittprozessionen mit Fronleichnam verbunden; Bittgebete in allen möglichen kirchlichen und weltlichen Anliegen wurden beigefügt.
Vielleicht akzeptieren es auch starre Traditionalisten, daß es auch in der Kirche Entwicklungen und Veränderungen gibt und geben muß, die auch heute noch nicht abgeschlossen sind.
Besonders deutlich kann man das an den Bräuchen sehen, die in der Barockzeit ausgeufert sind: die Prozession wurde geradezu zu einem Faschingszug; Lebende Bilder" wie Adam und Eva, der Drachenstich des hl. Georg, das Weinwunder von Kana und viele andere biblischen und weltlichen Szenen wurden von bestimmten Zünften dargestellt, so daß das Spektakel häufig das eigentliche Festgeheimnis in den Hintergrund rückte. Gottseidank, so muß man sagen, ist dieser Mummenschanz teils von den Oberhirten verboten, teils von der Aufklärung abgeschafft worden.
Dafür steht heute wieder ein Gedanke im Vordergrund, der besonders im II. Vaticanischen Konzil herausgearbeitet wurde: wir Christen sind ein wanderndes Gottesvolk, das auf unserer Gratwanderung durchs Leben nicht alleingelassen ist, sondern stets von Christus begleitet wird, der anschaulich unter dem Zeichen des Brotes bei der Prozession mitgetragen wird.
AMEN