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Fastenpredigt I

Thema: Die sieben Hauptsünden
gehalten am 25.02.1999 19:00 ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Liebe Christen!

Kardinal Joachim Meisner von Köln hat neulich uns Theologen vorgeworfen, in der Vermittlung des Glaubens versagt zu haben. Obwohl es 30 katholische Fakultäten mit 380 Professoren, rund 8000 Religionslehrer, 15 000 Priester und Ordensleute in der Bundesrepublik gibt, sei das Glaubenswissen in unserem Land auf einen Tiefpunkt gesunken. Der Grund: wir theologischen Fachleute würden zu wenig Katechismuslehre bieten. Und genau diese Lehre sei der Nährboden für den Glauben.

Für die, die selbst das nicht wissen: ein Katechismus ist eine Art Glaubenslehrbuch. Angeregt durch den Herrn Kardinal habe ich den meinen aus dem Regal gezogen und mal wieder nachgelesen, was wir damals in den fünfziger Jahren auswendig lernen mußten. Ja richtig, an die erste Frage erinnere ich mich noch deutlich: „Wozu sind wir auf Erden?" Aber leider - die Antwort habe ich nicht mehr parat, obwohl ich damals ganz bestimmt fest gelernt habe! Aber da steht es ja: „ Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, ihn zu lieben, ihm zu dienen und einst ewig bei ihm zu leben."

Meine Güte! So total vergessen! Ich blättere weiter. „Welches sind die sieben Hauptsünden?" - Na, die weiß ich aber noch bestimmt. „Die sieben Hauptsünden sind 1. Neid, 2. Geiz, 3. Unkeuschheit ..."

Na, das ist aber ärgerlich. Mehr bringe ich nicht zusammen. Wissen Sie denn noch, wie die sieben Hauptsünden lauten? —-

Wenn Sie wirklich ehrlichen Herzens behaupten können, noch alle sieben gewußt zu haben, dann sind Sie für mich ein echtes Vorbild. Denn ohne im Katechismus nachzuschlagen, könnte ich sie Ihnen jetzt nicht aufzählen.

„Die sieben Hauptsünden sind: 1. Hoffart, 2. Geiz, 3. Unkeuschheit, 4. Neid, 5. Unmäßigkeit im Essen und Trinken, 6. Zorn und 7. Trägheit."

Wenn - wie der Herr Kardinal meint - der Glaube davon abhängt, solche Antworten herunterrasseln zu können, dann dürfte es nicht allzu schwer sein, ein guter Christ zu sein. Aber dabei ist ein kleiner Haken: die meisten unter uns werden sich schwer tun, die Bedeutung der einzelnen Hauptsünden zu erklären. Und wenn ich mich nicht sehr täusche, ist gerade die Bedeutung von Bedeutung, und nicht das bloße Auswendigkönnen.

Ich erinnere mich noch an meinen ersten geistlichen Religionslehrer, der uns im Beichtunterricht eindringlich vor der Sünde der Unkeuschheit gewarnt hat (eine der sieben Hauptsünden!) - aber leider hat er versäumt (oder sich nicht getraut), uns Neunjährigen zu erklären, was das eigentlich sein soll. Na ja, vorsichtshalber habe ich diese Sünde halt einfach mitgebeichtet, denn sicher ist sicher!

Vielleicht interessiert Sie, was ich inzwischen dazugelernt habe. Denn eines hat mir ein späterer Religionslehrer auf dem Gymnasium, mein geliebter Monsignore und späterer Primizprediger Franz Hiltl, beigebracht: nichts einfach nachzubeten, sondern das Gehirn zu benutzen und darüber nachzudenken.

Fangen wir mal mit der ersten Hauptsünde an. Natürlich sagt heute kein Mensch mehr „Hoffart" dazu. Nennen wir sie lieber „Stolz", denn darum handelt es sich. Wie ist denn ein Mensch, der stolz ist? Vielleicht kann man ihn am ehesten mit einem aufgeblasenen Luftballon vergleichen: er tut so (und glaubt das auch), als sei er mehr oder besser als die anderen Leute. Aber jeder Psychologe wird Ihnen sagen: solche Typen haben in Wirklichkeit gar keine echte, stabile Persönlichkeit. Sie tun nur so, als seien sie jemand Besonderes, aber tief im Inneren nagen Minderwertigkeitsgefühle an ihnen. Natürlich ist ihnen das meist gar nicht bewußt, und sie würden sich heftig dagegen wehren, wenn man ihnen ins Gesicht sagt, wie wenig Selbstwertgefühl sie in sich haben.

Stolze Menschen vertuschen diese innere Unsicherheit gern - hören Sie bitte gut zu! - indem sie sich für andere unentbehrlich machen. „„Es ist so schön, wenn man gebraucht wird. Dabei habe ich so ein gutes Gefühl! Sicher wird auch Gott anerkennen, wie sehr ich mich für andere aufopfere!"

Auf die Idee, daß es sich dabei gar nicht um echte Liebe, sondern um die Gier nach Anerkennung, ja sogar nach Macht handelt, kommen sie gar nicht. Aber es ist leicht zu testen, wie weit es mit ihrer Liebe her ist. Lehnen Sie mal deren liebevolle Hilfsangebote ab! Sagen Sie doch mal, daß Sie selber recht gut zurechtkommen! Da werden Sie aber was erleben! „Und das ist der Dank dafür, daß ich auf alles verzichtet habe! Daß ich mich für dich aufgeopfert habe und meine Bedürfnisse in den Hintergrund gestellt habe!" Tränen sind da noch das mindeste, das Sie bei solchen Leuten erleben werden. Es gibt kaum jemanden, der über zurückgewiesene „Liebe" so beleidigt sein kann wie der Stolze.

Ich gebe ja zu: es ist sehr ernüchternd, zu erkennen, daß diese Art „Liebe" eigentlich eine Art Tauschhandel ist. Ich gebe nämlich gar nicht selbstlos, ohne Vorteile oder Dank zu erwarten, sondern um etwas zu bekommen: nämlich Dankbarkeit und Anerkennung!

Auch das gehört zum Thema: „Ich bin stolz darauf, unabhängig zu sein. Ich brauche niemanden, ich will niemandem zur Last fallen - und daher geht es mir gegen den Strich, einen anderen um Hilfe zu bitten." Dasselbe gilt auch für Geschenke jeder Art. „Ich lasse mir nichts schenken! Und wenn ich aus irgend einem Grund gezwungen bin, doch ein Geschenk annehmen zu müssen, dann gleiche ich es so schnell wie möglich wieder mit einem Gegengeschenk aus!"

Stolz kann übrigens auch in anderen Varianten auftreten. Ich kenne da eine junge Frau, die sich als die allergrößte Sünderin, als den allerunwürdigsten Menschen auf der ganzen Erde betrachtet. Auch falsche oder übertriebene Demut ist Stolz, aber das werde ich dieser Dame wohl kaum begreiflich machen können - denn stolze Menschen sind häufig blind in Bezug auf ihren Stolz.

Aber wieso ist solch ein Stolz denn Sünde? Sünde ist doch ein Verstoß gegen Gebote oder Gesetze Gottes? Da muß ich Sie leider korrigieren: Sünde kommt von Absonderung, von Trennung, und zwar von Gott, der Quelle der Liebe, des Lebens und des Glücks. Wenn ich vertrauensvoll mit IHM verbunden wäre, also nicht von ihm getrennt, dann bräuchte ich nicht mehr stolz zu sein. Dann würde ich wissen, daß er mich liebt, genauso wie ich bin, mit allen meinen Fehlern und Schwächen, mit meinen Minderwertigkeiten und meiner Unfähigkeit. Und wenn ER mich akzeptiert, dann habe ich nicht mehr nötig, mich besser darzustellen als ich bin; mit allerlei Tricks die Anerkennung anderer zu erpressen oder durch übertriebene Selbsterniedrigung nach dem Lob anderer zu „fischen".

Wir sehen also: mangelndes Selbstwertgefühl ist die Wurzel dieser Effektehascherei. Und weil man die Anerkennung von Menschen, und nicht von Gott, bekommen möchte, ist das Bemühen der Stolzen von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Genau die gleiche Ursache hat die zweite Hauptsünde, der Neid.

Auch ein neidischer Mensch gibt sich nicht damit zufrieden, daß er so und nicht anders von Gott geschaffen ist. Stets muß er sich mit anderen vergleichen: mit Menschen, die mehr besitzen als er selbst; die einen größeren Wagen fahren; die mehr Talente haben; die einen besseren Geschmack besitzen; die gebildeter sind. Es gibt nichts, worauf ein Neidischer nicht neidisch sein könnte - und wenn es so etwas läppisches ist wie ein Kleid oder eine Krawatte.

Nebenbei: auch die Eifersucht ist eine Variation des Neides: es könnte ja sein, daß irgend jemand attraktiver, hübscher, interessanter sein könne als man selbst. Und deshalb hält man den geliebten Partner von der Begegnung mit allen anderen Menschen ab, die in dieser Hinsicht gefährlich sein könnten.

Und die Sünde? Immer das gleiche: wenn ich nicht wirklich überzeugt davon bin, daß Gott mich einmalig geschaffen hat und mich so liebt, als sei ich der einzige Mensch auf der ganzen Welt (was natürlich auch für die anderen Menschen gilt!), dann suche ich eben die Anerkennung woanders - aber leider nicht dort, wo ich sie dauerhaft erhalten kann.

Wundert es Sie, daß auch die dritte Hauptsünde, die Habsucht oder der Geiz, die selbe Ursache wie die besprochenen Hauptsünden hat?

„Ich bin, was ich besitze", so könnte man das Motto der Habgierigen umschreiben. „Hast du was, bist du was - hast du mehr - dann bist du auch mehr!" - Diese unbewußte Vorstellung scheint die Triebfeder des Geizigen zu sein.

Meist wird es sich dabei um materiellen Besitz handeln: um ein ansehnliches Bankkonto, um Häuser und Grundstücke oder um ein repräsentatives Auto. Aber es gibt schon auch Typen, die geistige Schätze horten. Einer meiner Bekannten hat die Eigenart, Nächte hindurch zu studieren: exotische Sprachen, Botaniklehrbücher, geschichtliche Werke. Nichts dagegen einzuwenden. Nur hat niemand außer ihm etwas davon. Denn ich habe noch nie gehört, daß er dieses Wissen an andere weitergibt - er knausert mit seinen Schätzen wie ein Drache, dessen einzige Beschäftigung darin besteht, auf seinem Hort Wache zu halten - er schließt andere sozusagen aus, anstatt sie an seinem Reichtum teilhaben zu lassen. Auch mit Talenten kann man eben geizen! Schließlich haben wir all unsere Fähigkeiten nicht für uns selbst erhalten, sondern um auch andere zu bereichern und zu fördern!

Selbst mit Gefühlen, mit Zuwendung oder Zeit kann man knausern. Menschen, die jeden engeren Kontakt mit anderen meiden, sind eine Art von Geizhals. Wenn die Situation nur ein wenig emotionales Engagement erfordert, dann ziehen sie sich sofort in ihr Schneckenhaus zurück. „Ich kann mich doch nicht um alles kümmern; ich hab doch meine eigenen Sorgen - und da hilft mir auch keiner!" Wenn sie merken, sie einem Hilfesuchenden Zeit widmen müssen, dann schieben sie Ausreden wie einen Riegel vor. „Könnten wir nicht ein anderes Mal darüber reden - momentan geht's leider nicht, Sie wissen ja, der Streß!"

Bewährte Methoden sind auch oberflächliche Formeln, hinter denen weder Gefühl noch Anteilnahme steckt:>

Übertragung unterbrochen

ot;; „Jetzt stell dich doch nicht so an! Beiß einfach die Zähne zusammen - und durch!"; „Aber geh doch, andere haben das auch schon durchgemacht!"

Auch wir Geistlichen müssen da selbstkritisch sein: Priesterkleidung oder salbungsvolles, formelhaftes Reden oder distanziertes Verhalten ist ideal dazu geeignet, Gefühle oder Mitgefühl nicht zeigen, nicht „herausrücken" zu müssen - und das ist, wie gesagt, ebenfalls eine Form von Geiz! „Gute Frau, wir alle müssen unser Kreuz tragen. Wer weiß, für was es gut ist! Opfern sie Ihr Leid doch Gott auf - er wird es Ihnen reich vergelten!"

Beim Geiz kann man die gleiche „Wurzel", die gleiche Ursache finden wie bei den beiden anderen Hauptsünden: man sucht nicht in Gott Halt, Stütze, Anerkennung, sondern bleibt im Irdischen stecken. Und das kann nicht gutgehen - denn gutgehen kann es einem nur, wenn man an die Quelle geht. Ersatz muß letzten Endes enttäuschen, und das gilt genauso für die vier restlichen Hauptsünden, die wir dann am nächsten Donnerstag besprechen wollen.

AMEN

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