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Erntedank 1999

Thema: Danken können
von Eberhard Gottsmann, OStR

 

Predigt

Liebe Christen!

Ein Fahrgast belohnte einmal einen Berliner Taxichaffeur mit einem extra großen Trinkgeld. Der nahm es in Empfang und steckte es wortlos in die Tasche. Darauf der Fahrgast: „Sagt man eigentlich in Berlin nicht 'danke'?" „Det is untaschiedlich", erwidert der Unhöfliche. „Manche saren et, manche saren et nich."

Genau das ist unser Problem: manche sind dankbar, manche sind es nicht. Jeder macht im Lauf seines Lebens solche Erfahrungen; und sie sind um so schmerzlicher, je mehr man sich für den anderen eingesetzt hat. „Kauf einen Dieb vom Galgen los, und er wird helfen, dich zu hängen" lautet ein schottisches Sprichwort.

Warum ist das eigentlich so? Dieses unverständliche Verhalten ist auf den ersten Blick nicht erklärbar. Wenn man sich aber darüber Gedanken macht, welche Eigenschaften zur Dankbarkeit erforderlich sind, dann wird man über die Undankbarkeit nicht mehr ganz so überrascht sein.

Dank oder Undank setzen voraus, daß man etwas geschenkt bekommen hat - etwas Greifbares, Materielles oder auch Liebe, Zeit oder moralische Unterstützung. Wenn man nun ein Geschenk annimmt, dann gibt man damit zu, daß man in irgend einer Weise bedürftig war, daß man also von jemandem abhängig ist.

Ein recht unangenehmes Gefühl, das gegen die Selbstachtung, das Selbstwertgefühl und gegen die großartige Vorstellung geht, die man von sich selbst hat. Jedes Geschenk kratzt also ein wenig an der Eitelkeit, an dem Idealbild, das man sich vielleicht im Laufe der Jahre selbstbetrügerisch zurechtgezimmert hat.

Genau das ist es, was im ersten Buch Mose bei der Sündenfallgeschichte gemeint ist: die SelbstHERRlichkeit des Menschen der sich selbst an der Spitze aller Wesen sieht und nicht einmal von Gott abhängig sein will. So könnte man durchaus sagen: in der Undankbarkeit spiegelt sich etwas von der Ursünde, der Grundsünde des Menschen also, wider.

Etwas anderes spielt aber sicher auch eine große Rolle: Versäumnisse in der Erziehung. Viele von uns wachsen in der Vorstellung auf, alles beanspruchen zu können, auf alles ein Recht zu haben. Diese Einstellung übersieht aber völlig, daß auch andere Rechte und Ansprüche haben; sie ist im Grunde ihres Wesens purer Egoismus.

Diese Haltung ist für kleine Kinder sozusagen natürlich; aber dieser Grundegoismus sollte rechtzeitig von den Eltern und Erziehern gebremst und korrigiert werden. Aber genau das passiert selten. Nur um ihre Ruhe zu haben oder weil sie Angst vor Auseinandersetzungen haben, gehen sie sofort auf jede noch so unverschämte Forderung ein.

Es wäre unendlich wichtig, von Anfang an jedem Kind bewußt zu machen, daß eigentlich gar nichts selbstverständlich ist: weder die Liebe der Eltern, noch die Mühe der Lehrer, noch die Freundschaft von Klassenkameraden. Erst, wenn Kindern (und Erwachsenen!) klar wird, daß man auf Geschenke niemals Anspruch hat, daß Geschenke immer auf der freiwilligen Liebe des anderen beruhen, erst dann ist die Bahn frei für eine dankbare Gesinnung. Schon in den allerersten Lebensjahren muß diese Haltung grundgelegt werden, die sich auch äußerlich - z. B. durch ein schlichtes „Dankeschön" - kundtut.

Ich weiß sehr gut, daß auch die Gewohnheit da eine große Rolle spielt: ganz zu Anfang bemerkt man noch leichter, daß der andere etwas gar nicht so Selbstverständliches für einen tut, wenn er Zeit, Geld, Liebe verschenkt. Aber geht das erst mal eine geraume Zeit, so kann es gar nicht mehr anders sein; man hat sich an die Wohltaten so wunderschön gewöhnt. Wieso soll man da noch danken, wenn alles selbstverständlich ist? Undank kann also auch durchaus ein Zeichen für schlechtes Gedächtnis sein.

Liebe Christen!

Heutzutage sind wir nicht mehr so stark von den Gegebenheiten der Natur abhängig wie früher. Wir kennen die Produktionswege kaum noch, uns ist gar nicht mehr bewußt, wieviel Zeit dahintersteckt, wieviele Mühen vorausgegangen sind, bis ich dieses Produkt für mich verwenden kann. All das läßt uns immer mehr vergessen, daß alles, was wir zum Leben brauchen und was unseren Lebenskomfort ausmacht, ein freiwilliges Geschenk Gottes ist, auf das keiner von uns wirklich Anspruch hat. Auch hier Undankbarkeit als Folge eines schwachen Gedächtnisses - oder steckt vielleicht die genannte Selbstherrlichkeit dahinter, die allzugern vergessen möchte, daß wir Menschen ganz und gar von unserem Schöpfer abhängen und gar nicht genug danken können, daß wir leben dürfen - und daß wir so gut leben können.

Einmal im Jahr dankbar sein - eben an Erntedank - ist genauso schwach, wie einmal im Jahr zum Muttertag Blumen zu schenken oder einmal in der Woche seinen Pflichtbesuch in der Kirche zu absolvieren. Nein - Dankbarkeit muß geübt werden, jeden Tag, jede Stunde! Und wer bietet sich für dieses Training besser an als die Mitmenschen, die uns täglich umgeben?

AMEN

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