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Allerheiligen 1999

Thema: Heil sein, heil machen
gehalten am 01.11.1999 um 9:00h in Eschenbach
von Eberhard Gottsmann, OStR

Predigt

Liebe Christen!

In einem Lexikon finden wir unter dem Stichwort heilig: „Erhaben über alles Irdische; fromm, von Gottes Geist erfüllt; geheiligt, von der Kirche heiliggesprochen; in tiefster Seele ernst, unverletzlich, unantastbar, verehrungswürdig."

Ein theologischer Fachmann scheint diesen Absatz nicht geschrieben zu haben.

„Erhaben über alles Irdische" - die typische Klischeevorstellung von Menschen, die mit diesem schlechten, sündhaften Leib, mit dieser schlechten sündhaften Welt nichts zu tun haben wollen - und das soll christlich, heilig sein?

Und "von der Kirche heiliggesprochen": was ist mit den unzähligen anderen, die nicht in den Heiligenkalender aufgenommen wurden?

Weiter: „in tiefster Seele ernst, unverletzlich, unantastbar" - und was ist zum Beispiel mit meinen beiden Lieblingsheiligen, Don Bosco und Thomas Morus, die geradezu von Humor sprühten, die nicht nur scherzhafte Worte, sondern sogar recht übermütige Streiche gespielt haben?

Nein, das Wesentliche fehlt in diesem Artikel.

Was also ist nun ein Heiliger?

Vielleicht kann uns da die Heilige Schrift weiterhelfen. Paulus nennt oft in seinen Briefen alle Christen - und zwar die lebenden, nicht etwa die Verstorbenen - „Heilige". So gesehen ist also ein Heiliger einfach ein Christ, ein Mensch, der mit Gott verbunden ist.

Daraus würde folgen, daß unter uns viele Heilige sind, vielleicht mehr, als wir glauben.

Allerdings, wenn jemand so ganz unserer Vorstellung von heilig entspricht, also sanftes Getue, himmelwärts gerichteter Blick, Eiferer für die „wahre Lehre", zwei Meter über der Realität schwebend, dann ist es bestimmt kein Heiliger im christlichen Sinn. Wenn Heilige unter uns leben, dann sieht man ihnen das kaum an. Heilige waren und sind immer Leute mit beiden Füßen auf dem Erdboden. Sie reden nicht fromm und salbungsvoll daher - sie handeln. Und zwar so, daß sie den Weg Gottes nie aus dem Auge verlieren.

Und was der Weg Gottes ist, das zeigt wiederum Jesus in plastischer Weise.

Er knallt niemandem das Kirchenrecht auf den Kopf - im Gegenteil; gerade die Menschen, die außerhalb des „Gesetzes" stehen, nimmt er an, nimmt er ernst - und dadurch macht er sie heil.

Er schließt keinen aus der Gemeinschaft aus - im Gegenteil; gerade den Menschen, die außerhalb der Gesellschaft stehen, den Outsider, den „Aussätzigen" und Verachteten, sagt er die Vergebung und Liebe Gottes zu, ißt mit ihnen, berührt sie - und dadurch macht er sie heil.

Und vor allem: er schließt keinen aus der Gemeinschaft mit Gott aus; im Gegenteil: er wird nicht müde, den Menschen mit Schuldbewußtsein, mit Verdammungsängsten und mit Zweifeln, von Gott geliebt zu sein die bedingungslose und unverlierbare Liebe Gottes zuzusprechen - und dadurch macht er sie heil.

Warum kann er das tun? Warum fühlen sich die Menschen in seiner Gegenwart wohl, wieder gesund, wieder lebensfroh?

Ich bin überzeugt, daß er das nur tun kann, weil er selbst im Innersten heil und in Ordnung ist. Wie könnte er sonst andere heil machen, wenn er selbst in sich gespalten, unzufrieden, unglücklich wäre? Aber weil er sich von Gott geliebt weiß, weil er sich mehr als jeder andere Mensch mit Gott verbunden und in ihm geborgen fühlt, deshalb ist er innerlich ganz, harmonisch und ausgeglichen - mit einem altdeutschen Wort eben „heil". Wer aber „heil" ist, der kann auch andere „heilen", „heilmachen" - und genau das meint das altdeutsche Wort „heil-ig". Heil-igen, das heißt: heilmachen, in Ordnung bringen, in Harmonie bringen - und zwar dadurch, daß man selbst im Einklang mit Gott - und dadurch mit sich selbst - ist.

So, wie Gott heil-ig, heilend, in Ordnung bringend, ist, so sollen auch wir heil-ig, heilend, in Ordnung bringend sein: „Seid heilig, wie euer Vater im Himmel heilig ist!"

Das heißt nicht: vollkommen sein wie Gott. Da wären wir alle rettungslos überfordert. Wenn wir es aber recht, im Wortsinn, verstehen, dann kann jeder von uns heilig sein, wenigstens zeitweise und immer wieder. Und umgekehrt: wer zerstört, seelisch oder materiell kaputt macht, der ist gewiß nicht heilig, sondern im wörtlichen Sinn „diabolisch" (denn das griechische diabolos heißt nichts anderes als der, der durcheinander-, auseinanderbringt, kaputtmacht).

Was soll aber der Brauch der Kirche, verschiedene Menschen selig- oder heiligzusprechen?

Es hat immer Menschen gegeben, die andere heil gemacht haben und schon zu Lebzeiten, aber vor allem auch nach dem Tod von vielen als Vorbild verehrt wurden. Und damit kein Wildwuchs in der Verehrung von Verstorbenen entstehen kann, prüften kirchliche Beauftragte immer wieder das Leben von solchen Menschen. Oft hat daraufhin die Kirche untersagt, den oder jenen weiterhin zu verehren. Häufiger hat sie offiziell bestätigt, daß dieser oder jener diese Verehrung verdient, also als Vorbild eines christlichen Lebens in Frage kommt. Diese Vorbilder wurden dann unter feierlichem Zeremoniell im Petersdom selig- oder heiliggesprochen - sozusagen zur Verehrung freigegeben - wie wir es ja vor ein paar Jahren bei Adolph Kolping miterleben konnten. Heiligsprechung bedeutet zusätzlich zur Seligsprechung, daß auch noch ein Gedächtnistag im Kirchenkalender bestimmt und ein eigenes Meßformular erarbeitet wird.

Ab und zu wird der Heiligenkalender überarbeitet. So ist es erst vor einigen Jahren geschehen. Das heißt aber dann nicht, daß einige Heilige "abgeschafft" wurden. Man darf sie weiterhin verehren, und sie stehen auch weiterhin im Heiligenkalender. Lediglich aus dem liturgischen Kalender wurden sie entfernt, um die eigentlich wichtigen Feste, die Herrenfeste, stärker hervortreten zu lassen. Also bitten sie ruhig weiterhin um den Schutz und die Fürsprache des Heiligen Christophorus, dem Patron der Autofahrer, oder zum Drachentöter Georg, dem Patron der Pfarrhaushälterinnen, auch wenn es keinen Meßtext mehr über diese Heiligen gibt.

Es hat sich damit nichts an der Heiligenverehrung geändert. Weiterhin bieten uns Menschen, die als Lebende wie als Verstorbene mit Gott verbunden sind, ihre Hilfe und ihre Fürbitte bei Gott an, sie helfen uns, heil zu werden, wieder in Ordnung, wieder mit Gott in Verbindung zu kommen. Und wenn wir heute alle Heiligen, ob bekannt oder unbekannt, mit einem eigenen Fest ehren, dann denken wir zugleich an unsere eigene Zukunft beim Herrn, wo alles Trennende, Unheilvolle, Krankmachende für immer beseitigt ist.

AMEN

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