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Fest der heiligen Familie

Thema: Idylle oder ...?

Lesg./Ev.: Mt 2,13-15.19-23

gehalten am 27.12.1998 10:30h ESB von Eberhard Gottsmann, OStR

Lesung:

Mt 2,13 Als die Sterndeuter wieder gegangen waren, erschien dem Josef im Traum ein Engel des Herrn und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten. 14 Da stand Josef in der Nacht auf und floh mit dem Kind und dessen Mutter nach Ägypten. 15 Dort blieb er bis zum Tod des Herodes. Denn es sollte sich erfüllen, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen. 19 Als Herodes gestorben war, erschien dem Josef in Ägypten ein Engel des Herrn im Traum 20 und sagte: Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter, und zieh in das Land Israel; denn die Leute, die dem Kind nach dem Leben getrachtet haben, sind tot. 21 Da stand er auf und zog mit dem Kind und dessen Mutter in das Land Israel. 22 Als er aber hörte, daß in Judäa Archelaus an Stelle seines Vaters Herodes regierte, fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Und weil er im Traum einen Befehl erhalten hatte, zog er in das Gebiet von Galiläa 23 und ließ sich in einer Stadt namens Nazaret nieder. Denn es sollte sich erfüllen, was durch die Propheten gesagt worden ist: Er wird Nazoräer genannt werden.

Predigt

Liebe Christen!

Leider will mir meine Mutter ein Buch nicht herausrücken, das ich furchtbar gerne in meiner Bibliothek stehen hätte. Es ist ein schmales, abgegriffenes Bändchen mit vielen bunten Bildern aus der Kindheit Jesu. Diese Bilder stammen vom schwäbischen Maler Josef Madlener, und entsprechend seiner Abstammung hat er die Szenen der heiligen Familie auch in das schwäbische Milieu verlegt. Als Kind habe ich mich so richtig in diese idyllischen Bilder hineingeträumt: Josef, der an die Tür einer schwäbischen Gastwirtschaft klopft, während Maria schon sichtlich leidend mit gesenktem Kopf danebensteht (merkwürdig, daß der Kettenhund nur erstaunt den Kopf aus seiner Hütte hebt, ohne das Bettlerpaar zu verbellen); dann der warme, geräumige Stall mit Eichengebälk und viel Heu und sanftem Licht, in dem Josef mit gefalteten Händen vor dem göttlichen Kind kniet, während Maria mit beglücktem Lächeln das Kind wiegt - und schließlich eine ganze Reihe von Gemälden, die das traute Familienleben in Nazaret darstellen: Maria spielt mit dem strahlenden Kind auf einer Blumenwiese vor dem Haus, Josef arbeitet währenddessen in seiner Schreinerwerkstatt; Maria flickt unter einem Apfelbaum sitzend Gewänder, während das kleine Jesuskind Bauklötzchen übereinander stellt, Josef bearbeitet daneben einen Dachbalken; Maria, am offenen Herd Pfannkuchen backend, Josef sitzt auf der Ofenbank und hat den Jesusknaben auf dem Schoß; und schließlich: Maria, am Bett des kleinen Jesus sitzend, während Josef aus dem Gebetbuch ein Abendgebet vorliest.

Eine wunderschöne Idylle nach der anderen! So ein heiles Familienleben! Kein Wunder, daß diese Familie seit dem letzten Jahrhundert als Vorbild für alle christlichen Familien hingestellt wurde und schließlich durch ein Fest gefeiert wurde.

Volkstümliche Ausgestaltung in allen Ehren! Nur - hat das alles noch irgend etwas mit Tatsachen zu tun?

Schon früh haben „fromme Seelen" begonnen, eigene Geschichtchen zu erfinden, die die fehlenden Angaben der Evangelisten „ergänzen" sollten, und solche „Apokryphen", die berechtigterweise keinen Eingang ins Neue Testament gefunden haben, prägen die Volksfrömmigkeit bis heute.

Aber die Gefahr ist groß, daß man durch solche Fantasien am Eigentlichen, am Kern vorbeigeht und dadurch verwässert, verniedlicht und verharmlost, so wie es mit den Engeln geschehen ist, die - verzerrt als geflügelte Nackedeis im Kleinkindalter - nichts mehr von der eigentlichen biblischen Aussage erkennen lassen.

Es ist schon auffällig, daß im ältesten Evangelium, bei Markus, noch keine Spur von Kindheitsgeschichten zu finden ist. Das Interesse der ersten Christen drehte sich um Tod und Auferstehung, und natürlich auch, wie es dazu kam: Streitgespräche, demonstrative Wunder und aufrüttelnde Gleichnisse stehen bei ihm im Vordergrund.

Aber wie wir Menschen nun mal sind: gerade das, was wir nicht wissen, reizt uns besonders, und schon früh entstehen Geschichtchen, die auch die „verborgenen Jahre Jesu" offenlegen sollen.

Einige davon hat Mattäus und wieder andere Lukas dem Evangelium vorangestellt - aber mit einem gewaltigen Unterschied zu den volkstümlichen Legenden: sie dienen der Deutung der Be-deutung des Retters, des Sohnes Davids, des erwarteten Messias Jesus. Wie eine Ouvertüre, die bekanntlich die Hauptthemen einer Oper vorstellen soll, leiten beide Evangelisten das öffentliche Wirken Jesu mit den Kindheitserzählungen ein. „An der Kindheit Jesu (selbst) hatte Mattäus kein Interesse", so der Theologe Sand; und für Lukas gilt genau das gleiche. Aber beide wollen - wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten - anhand von vorgefundenen Geschichten Erklärungen für inzwischen brennende Fragen liefern.

Daher gilt für das heutige Fest zunächst: finden wir uns einfach damit ab, daß wir über die ersten dreißig Lebensjahre Jesu einfach nichts historisch Genaues wissen. Wir wissen nicht, ob es ein braver oder widerspenstiger Junge war; wir haben keine Ahnung, ob er sich von seinen Eltern verstanden fühlte oder ob er schon früh ein „Quertreiber" war; erst recht wissen wir nicht, woher er seine späteren tiefen theologischen Einsichten und profunden Bibelkenntnisse hernahm - außer man legt zugrunde, was uns auch sonst über die Erziehung zur Zeit Jesu bekannt ist.

Für jemanden, der mit oberflächlichen Vorstellungen zufrieden ist, mag das eine Enttäuschung sein. Wer aber gelernt hat - und das geht nicht von heute auf morgen - auf die „Intentionen" der Evangelisten, also deren Absichten, deren Deutungen zu schauen, dem geht viel Existentielleres, viel Bedeutsameres auf. Tun wir das einmal anhand des Mattäusevangeliums:

Dieser letzte Punkt ist Thema des heutigen Evangelienabschnittes. Bereits das Messiaskind bringt Unruhe in das Leben von Maria und Josef; schon die Schwangerschaft läßt neue, ungewohnte Wege erahnen; und nun ist das Kind gefährdet, man trachtet ihm nach dem Leben: wieder ein Aufbruch ins Unbekannte, sogar in das fremde Ägypten. Wie ein zweiter Mose wird er dann aus Ägypten ausziehen.

Wie sagte ich vorhin? Die Kindheitsgeschichten sind wie eine Ouvertüre, eine Vorausnahme des Späteren!

Tatsächlich: wie ein zweiter Mose wird er dann ein neues Gesetz, das Gesetz der Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe verkünden, sein ganzes öffentliches Leben wird ein dauerndes Unterwegssein werden; ständig muß vor den Nachstellungen seines Landesherrn Antipas fliehen, und wird von sich selbst sagen: „Der Menschensohn aber hat keinen Platz, wohin er sein Haupt hinlegen könnte" (Lk 9,58).

Die Heilige Familie als Familienidylle? Als Vorbild für unsere christlichen Familien? Eher ein Vorausbild, ein Modell dafür, was jeden erwartet, der in die Nachfolge Jesu tritt, also aus seinem Geiste heraus leben will! Auch die Fischer am See Gennesaret verlassen ihre Boote und ihre Familie und machen sich auf einen neuen, unbekannten Weg; auch Paulus wagt einen Neubeginn, nachdem er sich auf Christus eingelassen hat.

Aber glücklich der Mensch, der nicht allein unterwegs ist!

Wenn er Eltern - oder Partner oder Freunde - hat,

so wie es Maria und Josef getan haben.

AMEN

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