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3. Adventssonntag

Thema: Wie Johannes - im Gefängnis

Lesg./Ev.: Mt 11,2-11

gehalten am 13.12.98 um 9:00 Uhr in ESB von E. Gottsmann. OStR

Evangelium:

Mt 11,2 Johannes hörte im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm 3 und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten? 4 Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: 5 Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. 6 Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt. 7 Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? 8 Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. 9 Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten. 10 Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen. 11 Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.

Predigt:

Liebe Christen!

Waren Sie schon mal im Gefängnis? - Ich jedenfalls schon. Auf Einladung des Straubinger Gefängnispfarrers habe ich Gelegenheit , die enge und trostlose Welt von Gefangenen kennenzulernen. Meine Phantasie hat völlig für die Vorstellung ausgereicht, wie ich mich fühlen würde, wenn ICH ein solcher Gefangener wäre.

So kann ich mich durchaus in die Seelenlage des eingekerkerten Johannes hineinversetzen.

Er, der temperamentvolle, charismatische, ja fast fanatische Prediger, hatte sich allem Anschein nach den großen alttestamentlichen Propheten Elija zum Vorbild genommen. Wie dieser trug er ein härenes Gewand mit einem Ledergürtel und legte sich - wie dieser mit Königin Isebel, so jener mit Herodias, der Frau des Königs Herodes - an. Auch der Aufenthaltsort des Johannes, die judäische Wüste, weist auf den 40tägigen Wüstenaufenthalt des Elija hin. Aufgrund seiner großen Anhängerschaft wurde dieser Eiferer zur politischen Gefahr, der Herodes durch seine Gefangennahme begegnen wollte, wie Josephus Flavius berichtet. Allerdings läßt dieser romtreue Historiker den Kernpunkt der Johannespredigt einfach weg, nämlich daß die Königsherrschaft Gottes angebrochen sei. Auch sonst tilgt dieser Römerfreund jeden Hinweis aus seiner Geschichte, der andeuten könnte, daß viele Juden ein anderes Königreich als Rom wünschten.

Markus dagegen führt einen anderen Verhaftungsgrund an: den Haß einer Frau. Aber wahrscheinlich haben hier mehrere Beweggründe zusammengewirkt.

Nun sitzt also Johannes im Gefängnis und kommt ins Grübeln. Er hatte einen strengen Messias erwartet, einen Richter mit Feuer und Schwert, der unfruchtbare Bäume umschlägt und die Spreu von Weizen trennt, um sie „im nie erlöschenden Feuer zu verbrennen", wie Sie im Mattäusevangelium nachlesen können. Und nun ist dieser Messias endlich da: Jeschua aus Nazaret. Er hatte deutlich gespürt, als er ihn am Jordan taufte: der ist es!

Aber jetzt, im Gefängnis, befallen ihn Zweifel. Dieser Jeschua verhält sich ganz und gar anders, als er sich vorgestellt hatte: geduldig, verständnisvoll, barmherzig. Nichts von Feuer und Schwert - nichts von einem eisernen Besen, der mit allem Gottlosen für alle Zeit aufräumt. Wirklich verständlich, wenn Johannes sich fragt: Ist dieser Jeschua wirklich der von Gott gesandte Messias?

Wenn es im heutigen Evangelium heißt, daß Johannes „im Gefängnis" war, dann ist das nicht nur äußerlich zu verstehen. „Gefangen, befangen sein" kann auch einen seelischen Zustand bedeuten, den viele von uns aus eigener schmerzlicher Erfahrung kennen.

Ein Mensch kann gefangen sein von engen Ideen, von einengenden Ängsten, von Minderwertigkeitsgefühlen, von einem kleinkarierten Welt- und Menschenbild, von einer bedrückenden Moral, von bedrohlichen Gottesvorstellungen.

Er kann eingezwängt sein in einen Käfig von Erziehungsdressaten und frühkindlichen Prägungen, die genauso unübersteigbar sind wie Gefängnismauern, genauso bedrückend sind wie ein Käfig aus Eisenstäben und Stacheldraht.

Auch ein Großer wie Elija, auch ein Bedeutender wie Johannes kann gefangen und eingeengt sein: von Vorurteilen, von Vorstellungen, die der Wirklichkeit nicht standhalten. „Bist du wirklich der, der da kommen soll, der Messias, oder sollen wir auf einen anderen warten?"

Nun ist bemerkenswert, auf welche Weise Jesus ihm antworten läßt. Er bietet keine abstrakten Lehrsätze oder theoretischen Begründungen an, er rechtfertigt sich nicht mit dem Hinweis auf seine Davidssohnschaft oder auf seine Berufung durch Gott - denn all das wäre schon wieder etwas, das einengt und gefangen sein läßt. Er sagt vielmehr: Schau doch einfach, was ich tue und wie ich die Menschen verändere: "Blinde sehen wieder, Lahme gehen. Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird die frohe Botschaft verkündet."

Mit anderen Worten sagt er Johannes und damit auch uns: „Mein Freund, vergiß deine Vorurteile und Voreinstellungen. Öffne dich einfach vorurteilslos, laß dich von mir ergreifen und lebe mein Leben mit. Lerne fühlen und handeln wie ich, dann ist deine Frage beantwortet. Dann weißt du, daß du auf keinen anderen warten mußt, sondern daß du die Wahrheit gefunden hast, die dich frei macht. Und die Wahrheit besteht darin, daß das Reich Gottes nahe gekommen ist, daß Gott dir nahe gekommen ist, daß Gott dich liebt, dich annimmt mit all deinen Schwächen und Fehlern, und daß du seine Liebe niemals verlieren kannst, wenn du sie nicht selbst ablehnst. Dann wirst du frei: von deinen schrecklichen Gottesvorstellungen, von deinen grausamen Vorstellungen von Strafe und Gerechtigkeit, von deiner Angst vor Tod und Hölle.

Wenn du das tust,

Wenn du das erlebst, dann kannst du glücklich, selig sein, und du mußt an mir keinen Anstoß mehr nehmen, weil du verstanden hast, wozu mich Gott gesandt hat: nicht Gottes Strafgericht zu vollstrecken, sondern das Heil zu bringen".

AMEN

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