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1. Adventssonntag

Thema: Warten - warten - warten

Lesg./Ev.: Mt 24, 37-44

gehalten am 29.11.1998 um 9:00 Uhr in Eschenbach

Schriftlesung Mt 24,37-44

37 Denn wie es in den Tagen des Noach war, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein. 38 Wie die Menschen in den Tagen vor der Flut aßen und tranken und heirateten, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging, 39 und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird es auch bei der Ankunft des Menschensohnes sein. 40 Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen. 41 Und von zwei Frauen, die mit derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen. 42 Seid also wachsam! Denn ihr wißt nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. 43 Bedenkt: Wenn der Herr des Hauses wüßte, zu welcher Stunde in der Nacht der Dieb kommt, würde er wach bleiben und nicht zulassen, daß man in sein Haus einbricht. 44 Darum haltet auch ihr euch bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet.

Predigt:

Liebe Christen!

Es gibt da so ein paar Sachen, die werde ich wohl nie lernen. Natürlich verrate ich Ihnen nicht welche - ich möchte ja keine öffentliche Beichte ablegen. Zu einer dieser Schwächen aber kann ich mich ruhig bekennen, weil ich da in bester Gesellschaft bin: ich kann nämlich nicht warten.

Dabei bietet mein Alltag Gelegenheiten genug, die Tugend der Geduld zu üben, beispielsweise:

- Ich hatte jemanden um 19:00 Uhr zum Beichtgespräch bestellt; es wird 19:10, es wird 19:20 - niemand kommt, niemand sagt telefonisch ab! Mit 27½ Minuten Verspätung trifft die Person endlich mit unschuldiger Mine ein - ich widerstehe nur schwer der Versuchung, als Buße 5 Rosenkränze aufzugeben.
Oder:
- Bahnhof Weiden. Ganz knapp vor der Ankunftszeit des Interregio habe ich endlich einen Parkplatz gefunden. Ich haste zum Bahnsteig - und warte und warte. Wenn dann - 18 Minuten nach fahrplanmäßiger Ankunft - schließlich doch ein Hinweis erscheint, daß der Zug um 40 Minuten Verspätung hat, dann steigen aus meinem Unterbewußtsein Ausdrücke hoch, die Angestellte der Bahn-AG lieber nicht zu hören bekommen, sonst wäre mir eine Beleidigungsklage sicher.

Diese Beispiele könnte ich endlos fortsetzen, und viele davon dürften Ihnen vertraut vorkommen:

- die endlose Zeit im Wartezimmer des Zahnarztes,
- das Warten auf den Morgen in schlaflosen Nächten,
- die Ungeduld, bis der Postbote die bestellten Waren bringt,
- manchmal auch das Hin- und Herwetzen auf der Kirchenbank, bis endlich die Predigt (oder der Gottesdienst) zu Ende ist.

Warten macht wirklich keinen Spaß, es ist eher ein vorweggenommenes Fegefeuer, eine Folter oder ein Martyrium, und das Sprichwort „Vorfreude ist die schönste Freude" hat wahrscheinlich ein Masochist erfunden. Kein Wunder, daß wir das Warten vermeiden wollen, wo immer es geht!

Vielleicht ist es Ihnen ein Trost, daß es den Menschen schon immer so erging, auch zur Zeit des Evangelisten Mattäus. Worum ging es damals?

Jesus hatte allem Anschein nach erwartet, daß der „Tag Jahwes", der Tag des „Letzten Gerichts" schon bald anbrechen würde. Wer das Evangelium aufmerksam liest, stößt auf einige Stellen, die das beweisen, zum Beispiel: „Amen, ich sage euch: Von denen, die hier stehen, werden einige den Tod nicht erleiden, bis sie den Menschensohn in seiner königlichen Macht kommen sehen." wie es im 16. Kapitel des Mattäusevangeliums heißt.

Natürlich waren auch noch die Schüler Jesu von dieser „Naherwartung" überzeugt, genauso wie Paulus, der „Völkerapostel". So ist es recht konsequent, daß viele aus dieser Stimmung heraus „Hab und Gut verkauften" (Apg 2,45), sogar „Häuser und Grundstücke" (Apg 4,34), wie es in der Apostelgeschichte heißt, um sich durch Armenspenden sozusagen rechtzeitig den Himmel zu sichern.

Und es ist auch konsequent, daß in einer solchen Situation Trauung und Kinderkriegen nicht mehr sehr sinnvoll sind; daher rät auch Paulus im 1. Korintherbrief davon ab (daß man später daraus so etwas wie eine ideale Lebensform für Christen ableiten wollte, dafür kann nun unser Paulus wirklich nichts! Die Kirche neigt nun mal dazu, aus situationsbezogenen Paulusworten gleich ein Dogma zu machen).

Nun gab es leider einen Haken bei der Geschichte: das Ende der Welt blieb aus, Jesus kam einfach nicht wieder, und vom „Tag Jahwes", dem Endgericht keine Spur!

Sie erinnern sich: als Mattäus sein Evangelium schrieb, waren gut 50, 60 Jahre seit Tod und Auferstehung Jesu vergangen. So lange kann man keinem Menschen das Warten zumuten! Und daher ist verständlich, daß der Gedanke an eine baldige Wiederkehr Christi, an den Tag „X", in den Gemeinden der Mattäuszeit immer mehr verblaßte. Sorglosigkeit macht sich breit - vergleichbar mit einer Schule, in der der angekündigte Schulrats- oder Ministerialbeauftragtenbesuch schon seit Monaten auf sich warten läßt. Kollege X, der zu diesem Anlaß eine extratolle Stunde ausgearbeitet hat, verfällt wieder in seinen gewohnten Trott; Kollegin Y erscheint allmählich wieder unpünktlich zum Unterricht - mit einem Wort: alles läuft nun wieder seine gewohnten Gänge.

Der Seel-Sorger Mattäus ist besorgt um die Seelen seiner Gemeinde: Schludrian und Wurschtigkeit macht sich immer mehr breit. Und so predigt er in seinem Evangelium, daß sie sich nicht wundern sollten über das Ausbleiben Jesu: der genaue Zeitpunkt der „Großen Abrechnung" sei nämlich keinem bekannt - nicht einmal Jesus! (Mt 24,36). Er erinnert sie daran, daß auch zur Zeit der Sintflut alle Menschen sorglos in den Tag hineinlebten, bis dann die Katastrophe über sie kam, und schließlich, daß dieser Tag alle überrascht wie ein Dieb, von dem doch keiner weiß, wann er kommen wird. Wachsamkeit tut not - auch wenn es noch so lange dauert! Das ist die Botschaft des Seelsorgers Mattäus an seine des Wartens müde gewordene Gemeinde.

Liebe Christen!

Gerade heute, an der Schwelle des 21. Jahrhunderts ist die Naherwartung wieder aktuell. Sie wird in Talkshows geschürt, in denen Moderatoren wie Fliege „Wahrsager" interviewen; in esoterischen Büchern, die Nostradamus, Malachias, Mühlhiasl und Irlmeier interpretieren; sie wird durch selbsternannte Propheten, Hellseher und Astrologen aktualisiert.

Bei allem Schwachsinn: in einem Punkt haben diese Leute recht! Es wird nämlichZeit, daß wir aus unserem Schlendrian erwachen; es wird Zeit, daß wir aufschrecken aus unserem konsumorientierten Egoismus; es wird Zeit, daß wir aufschrecken aus unserer vermeintlichen Sicherheit, alles müsse so bleiben, wie es ist!

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: ich halte alle gerade genannten „Prognosen" für Bauernfang und alle gerade genannten „Wahrsager" für falsche Propheten - aber in einer Hinsicht bin ich deren Meinung: Wachsamkeit heißt die Parole!

Denn langes Warten schläfert leicht ein:

- Verdrängungsstrategien werden entwickelt
- falsche Sicherheit und Pseudo-Lebenssinn lullen die Suche nach dem wirklichen Lebenssinn ein
- Sorglosigkeit und Unbekümmertheit machen sich breit und begnügen sich mit dem, was doch vergänglich sein muß.

Könnte es denn nicht sein, daß täglich, ja stündlich der Tag „X" hereinbrechen kann - nicht so sehr für die ganze Erde, aber vielleicht für mich selbst? Eine falsche Lenkbewegung am Steuer; eine einzige Eisplatte auf der Straße; eine kleine Nachlässigkeit am Arbeitsplatz; eine winzige Krebsgeschwulst?

Liebe Christen,

ich möchte Ihnen wirklich keine Angst machen - das haben so manche Kirchenvertreter jahrhundertelang getan - und mit welchem Erfolg! Nein: Wachsamkeit und Vertrauen in die unendliche Liebe Gottes gehören zusammen: geduldiges, vertrauendes und gesammeltes Warten.

Advent als hektische Vorbereitungszeit auf die große Fete - oder Besinnung auf das Eigentliche, auf das Ziel und auf die Vollendung meines Lebens? Sie haben die Wahl!

AMEN

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