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7. Ostersonntag 2000

Thema: Einssein mit Gott
Lesg./Ev.: Joh 17,11b-19
für das Internet erstellt am 04.06.00
von Eberhard Gottsmann, OStR

 

Evangelium nach Johannes

Joh 17,11b (Jesus erhob die Augen zum Himmel und betete:) Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir. 12 Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast. Und ich habe sie behütet, und keiner von ihnen ging verloren, außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllt. 13 Aber jetzt gehe ich zu dir. Doch dies rede ich noch in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben. 14 Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehaßt, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin. 15 Ich bitte nicht, daß du sie aus der Welt nimmst, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst. 16 Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin. 17 Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit. 18 Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt. 19 Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind.

Predigt

Liebe Christen!

Wollte man die Frohbotschaft Jesu in einem Wort zusammenfassen, dann wäre es der Begriff „Einheit". Eins sein mit Gott, den Mitmenschen, der Schöpfung und mit sich selbst - das ist Paradies, das ist Himmel. Grund für dieses Einssein ist Gott selbst, die absolute Liebe, denn diese „Liebeskraft" schafft Bindung, ja ist selbst die Bindekraft. Wären wir mit Gott eins, könnten wir auch mit allem anderen eins sein - oder anders ausgedrückt: wir wären heil und heil-ig.

Der oft mißverstandene Begriff „Erbsünde" ist das Gegenteil davon - und er ist die Realität, in die wir bereits hineingeboren werden, obwohl wir vor der Entwicklung von Bewußtsein und Freiheit daran noch nicht mitschuldig sind.

Es scheint aber ein unausweichliches Schicksal des Menschen zu sein, irgend wann selbst dazu beizutragen: wir werden selbst sündig, und das bedeutet im eigentlichen Sinn: wir sondern uns ab, wir isolieren uns von dieser einigenden Liebe Gottes. Der tiefste Grund: die Selbst-HERR-lichkeit, das Bedürfnis nach Un-Abhängigkeit, wie es zeitlos in unübertrefflicher Weise bei der Sündenfallgeschichte erzählt wird. Erinnern Sie sich an die Worte der Schlange: „Sobald ihr davon (von der verbotenen Frucht also) eßt, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott (also selbst der Herr) und erkennt Gut und Böse". Die Geschichte zeigt aber auch die katastrophalen Folgen dieser „Emanzipation": „Sie erkannten - daß sie nackt waren" (Schamgefühl als Zeichen der Spaltung vom anderen Menschen und in sich selbst), und schließlich „Vertreibung aus dem Paradies", also Verlust der Einheit mit Gott und der Schöpfung.

Das Johannesevangelium zeigt am Beispiel des Judas, daß sich die Sündenfallgeschichte immer und immer wiederholt - und es zeigt die entsetzlichen Folgen dieser Spaltung. In der heutigen Perikope spricht Jesus von Judas als „Sohn des Verderbens". Was war geschehen?

Wir können sicher davon ausgehen, daß Judas Iskariot ein begeisterter Anhänger Jesu war. Jesus hatte erklärt, das Reich Gottes errichten zu wollen - etwas, das bereits die Propheten ersehnten: endlich ist Gott der Herr der Welt, und nicht die verhaßten Besatzer (ob sie nun Assyrer, Babylonier, Seleukiden oder Römer hießen). Wir können ebenfalls voraussetzen, daß Judas feste Vorstellungen hatte, wie das geschehen werde. Übrigens war Judas da keine Ausnahme; auch andere Jünger dachten an bewaffnete Revolution und waren von ihren Voreinstellungen so gefangen, daß sie für die Erklärungen Jesu taub waren.

Wie dem auch sei: jedenfalls scheint Judas zutiefst enttäuscht gewesen zu sein, daß Jesus jetzt am Pessachfest, wo doch so viele Pilger in Jerusalem versammelt waren, keinen Finger rührte, die Massen für einen Aufstand zu begeistern. Im Gegenteil: er feiert ein Abschiedsmahl, spricht vom Heimgang zum Vater, gibt seinen Freunden noch Mahnungen mit auf dem Weg.

Nun stelle ich mir das so vor, daß Judas einen verzweifelten Versuch machte, den scheinbar resignierten Jesus doch noch zu einer Reaktion zu zwingen, indem er den Behörden Jesu Aufenthaltsort meldete. Die Freunde Jesu waren ja bewaffnet - sicher werden sie mit ein paar Tempelpolizisten fertig, und wenn es doch zu einem Prozeß vor dem Hohen Rat kam, könnten doch die Massen (die Jesus doch am Palmsonntag zugejubelt hatten), zu einem Aufstand aufgewiegelt werden.

Ob es nun so oder anders war: auf jeden Fall glaubt Judas, seinen eigenen Vorstellungen und Plänen folgen zu müssen - ganz im Gegensatz zu Jesus, der immer der Stimme Gottes lauschte und seinen Willen ganz dem des himmlischen Vaters unterordnete. Nun ist es deutlich genug: die Selbst-HERR-lichkeit ist es wieder, die von Judas Besitz ergriff; und daher ist Spaltung, Trennung, Isolation die unausweichliche Folge. Es heißt bei Johannes: „Nachdem Judas ein Stück Brot gegessen hatte, ging er sofort hinaus. ES WAR NACHT."

Selbstherrlichkeit, Sünde, Ab-SONDE-rung von Gott führt zur Katastrophe, zum Verderben. Ohne Gott gibt es kein Licht, kein Heil, keine Freude. Erinnern Sie sich: Jesus spricht davon, die Freude der Jünger vollkommen machen zu wollen - und das sagt er im Zusammenhang mit dem Wunsch nach Einheit! Ohne Einheit mit Gott gibt es nur Isolation, Nacht, Verderben und Verzweiflung - bei Judas sogar im Selbstmord endend. Ob dieses „Verderben" allerdings ein endgültiges war, wage ich angesichts der Liebe Gottes zu bezweifeln. Auch Judas ist - wie jeder Mensch - von Gott unverlierbar und bedingungslos geliebt. Seiner Liebesmacht traue ich alles zu - darum ist uns kein abschließendes Urteil gestattet, weder über Judas, noch über sonst einen „Verbrecher" der Menschheit.

Liebe Christen!

Selbst Jesus schaffte es nicht, die Menschen, ja nicht einmal seine Anhänger zu einen. Natürlich scheint das Mittelalter mit seiner einheitlichen christlichen Religion ein Gegenbeweis zu sein; aber diese Art Einheit war oft eine aufgezwungene Gleichmacherei. Wirkliche liebende Einheit verlangt nicht Uniformität, Verschmelzung, sondern die Anerkennung der Andersheit der anderen.

Könnte das nicht ein Anfang weltweiter Ökumene und Toleranz sein: überall, wo man an den einen und einenden Gott, also an die absolute Liebe glaubt, wäre dann der „wahre Glaube"; und die verschiedenen Formen von Riten, Bräuchen, Symbolen wären dann kein Trennungsgrund, sondern eine Bereicherung für alle. Eins untereinander zu werden, wie Jesus eins mit Gott war, ist nicht nur die Erfüllung der letzten Bitte Jesu - er wäre für uns alle zum Heil.

AMEN

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