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6. Jahressonntag 2000

Thema: Unrein! Unrein!
Lesung / Evangelium: Mk 1,40-45
gehalten am 13.02.2000 09:00h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

 

Evangelium

40 Ein Aussätziger kam zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du machen, daß ich rein werde. 41 Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will es - werde rein! 42 Im gleichen Augenblick verschwand der Aussatz, und der Mann war rein. 43 Jesus schickte ihn weg und schärfte ihm ein: 44 Nimm dich in acht! Erzähl niemand etwas davon, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring das Reinigungsopfer dar, das Mose angeordnet hat. Das soll für sie ein Beweis (meiner Gesetzestreue) sein. 45 Der Mann aber ging weg und erzählte bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die ganze Geschichte, so daß sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch außerhalb der Städte an einsamen Orten auf. Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm.

Predigt

Liebe Christen!

Wenngleich der Aussatz in unseren Breiten praktisch nicht vorkommt, sind doch weltweit über 12 Millionen Menschen von dieser zerstörerischen chronischen Krankheit betroffen. Besonders in Asien und Afrika verbreitet, befällt sie überwiegend Männer im zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt. Dabei gibt es verschiedene Formen mit unterschiedlichen Komplikationen. Gemeinsam ist allen Lepraarten, daß die peripheren Nerven befallen sind, so daß ganze Körperteile empfindungslos werden. In den schlimmsten Fällen kommt es zur Bildung von Hautknoten, Haarausfall, Gesichtsschwellung, Erblindung, Lähmungen und fortschreitendem Abfaulen von Händen und Füßen.

Die Keime, nämlich eine Bakterienart, werden wahrscheinlich durch Tröpfcheninfektion übertragen - kein Wunder, daß man schon in frühesten Zeiten vermied, mit den Erkrankten in Berührung zu kommen. Schon im Alten Testament gibt es ausführliche Regeln darüber, wie Aussätzige zu behandeln sind. Im Buch Leviticus (Lev 13,45-46) heißt es: „Der Aussätzige, der das Mal der Krankheit an sich trägt, soll mit zerrissenen Kleidern umhergehen, er lasse das Haupthaar ungepflegt, verhülle den Bart und rufe: Unrein! Unrein! ... Er soll abgesondert wohnen. Sein Bleiben sei außerhalb des Lagers".

Diese Regeln hatten nicht so sehr den Sinn, die Ansteckungsgefahr zu vermeiden - damals hatte man ja vom Verursacher der Krankheit, dem Mycobacterium leprae, noch keine Ahnung - sondern sie hatten ihren Ursprung im religiösen Bereich! Der Aussatz machte kultisch unrein, weil er als unmittelbare Strafe Gottes galt. Nach dem Urteil der Schriftgelehrten galt Lepra als Strafe für Verleumdung, Blutvergießen, falschen Schwur, Unzucht und Raub.

Daher war die Reaktion der Gesunden auf solche armen Teufel besonders unmenschlich: von Rabbi Simon ben Lakisch, der um 250 nC in Tiberias lebte, wird berichtet, daß er einen Aussätzigen mit Steinen bewarf und ihm zurief: „Geh an deinen Ort und beflecke nicht die Menschen!"

Nicht nur der Lepröse selbst war unrein - er machte auch alles unrein, was in seine Nähe kam. „Wenn ein Aussätziger in ein Haus tritt, so sind mit dem Augenblick seines Eintretens alle Geräte darin unrein, selbst bis zum obersten Balken hinauf", hieß es zur Zeit Jesu.

Zum Elend der Krankheit selbst kam also noch die vernichtende Erkenntnis, von Gott verflucht und von der Gemeinschaft verstoßen zu sein.

Vielleicht können wir jetzt erahnen, wie revolutionär das heutige Evangelium ist.

Denn auch Jesus begegnet einem Aussätzigen, aber er weicht dem Verfemten nicht aus. Er tut etwas, das unsere „Einheiz-Übersetzung" wieder einmal völlig ungenau wiedergibt. Er berührt den Kranken nämlich nicht nur, er packt, er umarmt ihn sogar - das nämlich bedeutet das griechische Wort „hápteïn", das hier verwendet wird!

Nicht nur, daß damit Jesus äußerst schwer gegen rabbinische Vorschriften verstößt; er stellt damit sogar eine unumstößliche Glaubenslehre auf den Kopf: für ihn ist der Kranke kein von Gott geschlagener Sünder, sondern ein besonders liebenswerter, besonders mitleidsbedürftiger Mitmensch.

Durch die Umarmung macht Jesus deutlicher als durch alle Worte, daß Gott diesen armen Teufel in seine Arme schließt und erklärt: „Für Gott bist du nicht unrein, auch wenn deine unmenschlichen Zeitgenossen in ihrer Selbstgerechtigkeit und Blindheit das so sehen. Und selbst wenn die 'Amtskirche', also die Priesterschaft von Jerusalem und die Theologen, die Schriftgelehrten und Pharisäer, dich hundertmal im Namen Gottes für exkommuniziert, für ausgeschlossen erklären - Gott ist da gänzlich anderer Meinung! Gerade du bist besonders liebenswert für ihn."

Liebe Christen!

Bei der Lektüre dieser Markusstelle drängt sich uns Heutigen der Gedanke förmlich auf, ob die heutzutage weitverbreitete Sicht der Zeitgeißel AIDS und der daraus folgende Umgang mit AIDS-Kranken nicht verblüffend den damaligen Verhältnissen vergleichbar sind. Mir ist noch das Wort eines modernen Schriftgelehrten und Pharisäers im Ohr, der AIDS als Strafe Gottes bezeichnet hat. Und auch das Verhalten AIDS-Kranken gegenüber läßt sich oft als „Exkommunikation", also als „Ausschluß aus der Gemeinschaft" kennzeichnen.

Aber wir müssen nicht unbedingt ein so extremes Beispiel wählen. Fallen denn nicht auch Drogenkranke, Straffällige - ja sogar geschiedene Wiederverheiratete - unter diesen gesellschaftlichen Bann? Unterscheiden wir „anständigen Christen" nicht fortwährend zwischen denen, die zu uns gehören und denen, die „draußen" sind? Glauben wir nicht genau zu wissen, wer von Gott angenommen ist und wer nicht?

Würde die Kirche - und damit wir selbst - im Geiste Christi denken und handeln, gäbe es all die Ausgrenzungen, Verurteilungen und „Unrein-Erklärungen" nicht mehr.

Im Gegenteil: könnten wir - wie Jesus - diesen Mitmenschen durch unser Verhalten zeigen, daß Gottes Liebe auch sie „umarmt", dann wäre Heilung, Heil selbst dann möglich, wenn die bedrückende Situation oder Krankheit selbst nicht beseitigt werden könnte.

„Heil und geheilt ist ein Mensch nämlich dann, wenn er sich und seine Situation so annehmen kann, wie sie ist, auch wenn er vom äußeren Leid nicht befreit wird" (E. Gruber). Heil und geheilt ist ein Mensch, wenn er sich trotz „Aussatz", also trotz körperlicher oder seelischer Leiden, als von Gott unendlich und unverlierbar geliebt weiß - und dafür könnten - ja müssen! - wir unseren Mitmenschen ein Zeichen sein.

AMEN

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