Joh 12,20 Auch einige Griechen waren anwesend - sie
gehörten zu den Pilgern, die beim Fest Gott anbeten wollten. 21
Sie traten an Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa
stammte, und sagten zu ihm: Herr, wir möchten Jesus sehen. 22
Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen
und sagten es Jesus.
23 Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen, daß der
Menschensohn verherrlicht wird. 24 Amen, amen, ich sage euch:
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt
es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. 25 Wer
an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in
dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.
26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin,
dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der
Vater ihn ehren. 27 Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll
ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin
ich in diese Stunde gekommen. 28 Vater, verherrliche deinen
Namen! Da kam eine Stimme vom Himmel: Ich habe ihn schon
verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen. 29 Die Menge,
die dabeistand und das hörte, sagte: Es hat gedonnert. Andere
sagten: Ein Engel hat zu ihm geredet. 30 Jesus antwortete und
sagte: Nicht mir galt diese Stimme, sondern euch. 31 Jetzt wird
Gericht gehalten über diese Welt; jetzt wird der Herrscher
dieser Welt hinausgeworfen werden. 32 Und ich, wenn ich über die
Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen. 33 Das sagte er, um
anzudeuten, auf welche Weise er sterben werde.
Liebe Christen!
Schon in der Antike gab es Leute, deren Reiselust geradezu sprichwörtlich war - vergleichbar mit dem quicklebendigen, neugierigen Völkchen der Sachsen oder den allgegenwärtigen Bewohnern der Stadt Nürnberg. Erreicht man nach mühevollem Aufstieg einen anspruchsvollen Bergesgipfel, tönen einem bereits die unverwechselbaren Laute einer nürnberger Bergsteigergruppe entgegen, beachtet man im abgelegensten Winkel des Bayrischen Waldes die Kraftfahrzeug-Kennzeichen, stößt man überdurchschnittlich oft auf chemnitzer, dresdner, pirnaische, zwickauische oder plauische Nummern.
In der Antike waren es die Griechen, die in allen Teilen der damals bekannten Welt anzutreffen waren. Nach dem Vorbild Herodots, dem Vater der Geschichtsschreibung, bereisten diese wißbegierigen Leutchen alle möglichen Länder, und zwar nicht nur aus Handels- oder Gewerbegründen, sondern auch aus reiner Reiselust oder um andere Religionen, Weltanschauungen oder Philosophien kennenzulernen.
Von solchen antiken Globetrottern scheint auch das heutige Evangelium zu sprechen. Es ist ja kurz vor Ostern - daher ist anzunehmen, daß diese Leute einfach mal den Tempelbetrieb, die Spannung vor dem Fest - und natürlich das Fest selbst mit eigenen Augen sehen wollten. Zwar war ihnen das Zentrum des Tempels verwehrt, aber auch im Vorhof des Tempels, der den Heiden zugänglich war, gab es allerhand zu sehen: wir würden heute buntes Bazartreiben" dazu sagen. Möglicherweise waren es aber auch Leute, die am jüdischen Glauben bereits Geschmack gefunden hatten - Proselyten" nannte man sie - und die nun die Pessachfeierlichkeiten miterleben wollten, soweit es ihnen als Heiden möglich war.
Wenn nun das Johannesevangelium recht hat, fand der Skandal der Tempelreinigung erst vor kurzer Zeit statt. Daher könnte es durchaus sein, daß diese griechischen Touristen von dem Verrückten gehört hatten, der gerade im Vorhof der Heiden alles kurz und klein geschlagen hatte. Ein Verrückter, sicher, - aber ein mutiger! Was ihn wohl bewogen hatte, in so lebensgefährlicher Weise aufzufallen? Das Beste, man redet mal mit einem seiner Vertrauten. Und ein Mann mit griechischem Namen - Philippus - wird sie, die Griechen, doch sicher nicht abweisen. Der aber ist unsicher. Soll er diesen Leuten verraten, wo Jesus momentan zu finden ist? Und - wird es dem Rabbi auch recht sein, wenn Ungläubige, Heiden, Unreine ihn belästigen? Andreas wird ins Vertrauen gezogen. Und der zögert nicht, sie mit Jesus zusammenzubringen, weil er weiß, daß Jesus stets offen ist für Menschen, die auf der Suche sind. Beide suchen Jesus auf, um ihn um Audienz" zu bitten.
Aber was nun folgt, hätte keiner der beiden erwartet. Jesus macht ihnen unmißverständlich klar, daß er jetzt andere Sorgen hat. Und dann dreht er sich um und geht, er verbarg sich vor ihnen", wie es im Text heißt.
Was ist denn in diesen Jesus gefahren, der doch einmal die Jünger zusammenstauchte, weil sie nach einem anstrengenden Tag die Leute mit ihren Kindern wegschicken wollten? Was ist los mit ihm, der sonst sogar auf Essen verzichten konnte, wenn es um seine Botschaft ging, wie wir bei dem Gespräch mit der Samariterin erfahren?
Die Antwort ist einleuchtend: Jesus steckt in einer schweren Krise. Krisis" heißt Entscheidung, und genau darum handelt es sich.
Lange schon hatten die jerusalemer Inquisitoren das Treiben dieses Ketzers" beobachtet, schon lange hatte man Material gegen ihn gesammelt. Dieser Mann - so wurde immer klarer - ist ein Verlocker", einer, der die Leute vom wahren Glauben wegbringt. Der Terroranschlag im Tempelvorhof bestätigte nur, was die Behörde schon längst wußte. Die Rechtslage ist klar: einem Verlocker" muß nicht einmal ein regelrechter Prozeß gemacht werden, denn dieses Vergehen ist nach dem Gesetz des Mose ein Ausnahmeverbrechen. Wie heißt es im Buch Deuteronomium, Kapitel 13,9f? Wenn dein Bruder... dich heimlich verführen will und sagt: Gehen wir, und dienen wir anderen Göttern ... dann sollst du nicht nachgeben und nicht auf ihn hören. Du sollst in dir kein Mitleid mit ihm aufsteigen lassen, sollst keine Nachsicht für ihn kennen und die Sache nicht vertuschen. Sondern du sollst ihn anzeigen. Wenn er hingerichtet wird, sollst du als erster deine Hand gegen ihn erheben, dann erst das ganze Volk. Du sollst ihn steinigen, und er soll sterben; denn er hat versucht, dich vom Herrn, deinem Gott, abzubringen, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Ganz Israel soll davon hören, damit sie sich fürchten und nicht noch einmal einen solchen Frevel in deiner Mitte begehen."
Jesus war die Sache völlig klar. Schon auf dem Weg nach Jerusalem hatte man ihn gewarnt (denn einige Sympathisanten saßen sogar im Hohen Rat) - aber Jesus war stur geblieben. Er will Gott allein gehorsam sein - und der scheint zu verlangen, daß er sich in die Höhle des Löwen wagt.
Welch grauenhafter Konflikt! Niemand stirbt gern; niemand möchte so brutal zu Tode geschunden werden, wie die Kreuzigung es mit sich bringt. Wenn es aber die einzige Möglichkeit ist, treu zu seiner Überzeugung zu stehen? Wenn es die unausweichliche Konsequenz seines Lebens und seiner Lehre ist?
Es ist völlig klar: macht jetzt Jesus einen feigen Rückzieher, geht er außer Landes oder verwässert er seine Botschaft, dann ist sein Leben gerettet - aber dann wäre alles umsonst, was er bisher gesagt und getan hat. Dann hätte nicht die Macht der Liebe, sondern die Macht dieser Welt, also die Macht menschlicher Gewohnheiten, Egoismen, Lieblosigkeiten gesiegt.
Nur, wenn er jetzt sein Leben aufs Spiel setzt - wie ein Weizenkorn, das sich auflösen muß, um Frucht zu bringen - wird seine Botschaft für andere zum Leben, zur Hoffnung, zum Heil. Nur, wenn er nicht an sich, sondern an die anderen denkt, findet seine Lebensaufgabe Erfüllung - den Menschen Erlösung zu schenken.
Daß jetzt - bei diesem inneren Kampf - kein rechter Ort für die Audienz einiger Touristen ist, dürfte uns nun einleuchten. AMEN
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