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12. Jahressonntag 2000

Thema: Wenn's naß eingeht
Lesg./Ev.: Mk 4,35-41
gehalten am 25.06.2000 9:00h Waldeck
von Eberhard Gottsmann, OStR

Evangelium Mk 4,35-41

35 Am Abend dieses Tages sagte Jesus zu ihnen: Wir wollen ans andere Ufer hinüberfahren. 36 Sie schickten die Leute fort und fuhren mit ihm in dem Boot, in dem er saß, weg; einige andere Boote begleiteten ihn. 37 Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm, und die Wellen schlugen in das Boot, so daß es sich mit Wasser zu füllen begann. 38 Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, daß wir zugrunde gehen? 39 Da stand er auf, drohte dem Wind und sagte zu dem See: Schweig, sei still! Und der Wind legte sich, und es trat völlige Stille ein. 40 Er sagte zu ihnen: Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr noch keinen Glauben? 41 Da ergriff sie große Furcht, und sie sagten zueinander: Was ist das für ein Mensch, daß ihm sogar der Wind und der See gehorchen?

Predigt

Liebe Christen!

„Wasser hat keine Balken", so sagt man. Aber schauen Sie doch mal an heißen Tagen den Wasserratzen zu! Da hat man ganz und gar nicht den Eindruck, als würden die Badenden wie ein Stein absacken! Bei den meisten sieht es so aus, als trüge das Wasser sie ganz von selbst - manche lassen sich sogar auf dem Rücken liegend dahintreiben.

Natürlich gibt es auch Nichtschwimmer, denen die Tragekraft des Wassers nicht ganz geheuer ist. Die wagen sich nur soweit hinein, als sie gerade noch Grund unter den Füßen spüren. Noch lieber ist es ihnen, wenn sie eine Konstruktion verwenden können, die diese Tragekraft des Wassers verstärkt: Schwimmflügel beispielsweise oder eben ein Boot.

Hin und wieder sind aber auch hervorragende Schwimmer auf solche Hilfsmittel angewiesen, wenn zum Beispiel der Wellengang allzu hoch ist oder die eigenen Kräfte nicht ausreichen, um eine größere Strecke zurückzulegen - oder aber, um etwas Schweres zu transportieren.

Aber nicht in jedem Fall sind menschliche Kraftanstrengung oder technische Hilfsmittel ausreichend, um sich vom Wasser tragen zu lassen. Bei Unwetter oder Sturmböen können starke Wellen alle Bemühungen zunichte machen, und dann wird das Wasser zur tödlichen Gefahr.

Und schon sind wir bei unserem Evangelium angelangt. Markus verwendet ähnliche Beobachtungen, um in bildhafter Weise Glaubensüberzeugungen zu vermitteln. Wer ein wenig Einblick in die biblische Sprechweise hat, bleibt nicht bei der Frage stehen: „Hat sich die Geschichte wirklich so ereignet?", sondern er fragt: „Was will mir der Autor damit klarmachen?" Mit anderen Worten: nicht der Bericht über ein historisches Ereignis interessiert ihn, sondern eine bildhafte Erzählung, in der tiefere Wahrheiten aufgezeigt werden, und in der auch wir heutigen Menschen uns wiederfinden können.

Worum geht es also?

Immer wieder gibt es in unserem Leben Zeiten und Situationen, da der gewohnte Trott, das „ruhige Dahingleiten" ein Ende hat. Eine schlimme Diagnose, der Verlust des Arbeitsplatzes, der Tod eines nahen Verwandten, eine tiefgreifende Änderung der Lebensumstände - die sonst so ruhige See ist aufgewühlt, das Wasser des Lebens wird zur dämonischen Bedrohung. Das bisherige Vertrauen in meine Kräfte, in meine „Schwimmkünste" gerät ins Wanken; Angst, ja Panik macht sich breit. Selbst die Einrichtungen, die wir uns im Laufe des Lebens geschaffen haben, um Sicherheit und Glück zu schaffen, funktionieren nicht mehr: die „Schwimmhilfen" reichen nicht mehr aus, um mit der Bedrohung fertig zu werden. Damals, als der Lebenssee noch ruhig war, glaubte ich tatsächlich, alles selbst in Griff zu haben. Und Gott? Den habe ich auf ein weiches Kissen ganz hinten im Boot verbannt, dort kann er ruhig schlafen. Ich brauchte ihn nicht; daher sollte er Ruhe geben und mich nicht stören.

Jetzt aber, da mein Selbstbewußtsein und meine menschlichen Sicherheiten in die Brüche gehen, jetzt brauche ich ihn dringend: „Wach auf, wach sofort auf! Du kannst mich doch nicht zugrunde gehen lassen!"

Ich sollte eigentlich wissen, daß Gott nie schläft. Aber er drängt sich auch nicht auf, wenn ich glaube, ohne ihn auszukommen. Er läßt mir meine Freiheit, wenn ich meine, mit eigener Anstrengung durchzukommen, wenn ich krampfhaft Lecks abdichte oder Wasser aus meinem Boot pumpe.

Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, da ich erkenne: mit eigener Kraft geht gar nichts mehr. Jetzt heißt es, das eingeschläferte Gottvertrauen zu wecken. Und damit bin ich bei dem Punkt angelangt, wo Gott mich haben möchte. Es braucht oft gewaltige „Stürme des Lebens", es braucht Erfahrungen, wo alle menschliche Anstrengung versagt, damit ich endlich wahrnehme, daß ich ganz und gar von IHM abhänge und die Rettung nur von IHM erwarten darf.

Und genau an dieser Stelle kann man eine verblüffende Erfahrung machen. In dem Augenblick, in dem ich meine verzweifelten, krampfhaften, sinnlosen Anstrengungen aufgebe, in dem ich mich vertrauensvoll in die Arme Gottes begebe und alles ihm übergebe, tritt schlagartig Stille ein. Natürlich meine ich nicht eine äußere Stille - es kann sein, daß die Schicksalswogen noch genauso bedrohlich ins Lebensboot klatschen - nein, ich meine eine innere Ruhe und Gelassenheit, die mich meine Situation mit anderen Augen sehen läßt.

Manchen von Ihnen werde ich das nicht begreiflich machen können, denn Theorie allein bringt hier gar nichts. Aber viele, die schon einiges im Leben durchgemacht haben, werden bestätigen können, daß das funktioniert: solange ich krampfhaft gegen das Unvermeidliche kämpfe, solange ich mich innerlich gegen Unausweichliches sperre, verbrauche ich unendlich viel unnütze Energie, ich habe schlaflose Nächte und fühle mich schrecklich elend. Erst, wenn ich wirklich nicht mehr kann, wenn ich am Ende meiner Kräfte bin, lasse ich endlich vertrauensvoll los, und dann erlebe ich, daß ich nicht ins Bodenlose falle, daß ich nicht in den „Tiefen des Meeres" versinke, sondern daß ich von der Hand des liebenden Gottes gehalten bin. Wie durch ein Wunder verschwindet Anspannung und Angst - und die Krise ist überstanden. Ich habe wieder ein wenig mehr Gottvertrauen gelernt - und das scheint eine unserer wesentlichen Lektionen zu sein, die das Leben uns beibringen soll.

Um Ihnen keine Illusionen zu machen: leider hält dieses Vertrauen oft nicht allzu lang. Beim nächsten Mal, wenn's mir wieder „naß eingeht", beginnt die Sache meist wieder von vorne - und auch in dieser Situation muß ich von Neuem mühevoll lernen, auf Gott zu vertrauen. Denn immer wieder stellt sich heraus, daß mein Vertrauen doch noch nicht tragfähig genug, daß meine Reife noch nicht vollkommen ist.

Na ja, noch haben wir ja Zeit zum Üben - vielleicht lernen wir's irgendwann einmal.

AMEN

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