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Dreifaltigkeitssonntag 2000

Thema: Sind Sie ein Ketzer?
Lesg./Ev.: Mt 28,16-20
gehalten am 17.06.2000 19:00h, am 18.06.2000 um 09:00h und 10:30h ESB
von Eberhard Gottsmann, OStR

Evangelium

Mt 28,16 Die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. 17 Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder. Einige aber hatten Zweifel. 18 Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. 19 Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, 20 und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiß: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Predigt

Liebe Christen!

Wenn Sie Lust haben, dann machen wir doch mal ein kleines Spielchen miteinander. Ich sage einen Satz, der über Gott, Jesus oder den Heiligen Geist handelt, und Sie sagen mir anschließend, ob er richtig oder falsch ist, also unserem katholischen Glauben entspricht oder nicht.

Damit die Sache ein wenig spannender wird, gibt es dabei auch einen kleinen Einsatz: haben Sie ausnahmslos alles richtig, dann dürfen Sie sich stolz „rechtgläubig" nennen. Machen Sie aber auch nur einen einzigen Fehler, dann verfällt Ihr gesamtes Eigentum dem Staat, und Sie müssen sich irgendeinen Wohnort aussuchen - Hauptsache, er ist außerhalb der Bundesrepublik Deutschlands gelegen.

Fangen wir mal frisch und munter an. Richtig oder falsch:

- Jesus ist ein reiner Mensch, der irgendwann, etwa bei der Taufe im Jordan, von einer göttlichen Kraft erfüllt wurde und auf diese Weise sozusagen von Gott „adoptiert" wurde. Ursprünglicher, wesenhafter Gott ist allein der Vater.

Haben Sie vielleicht „richtig" gesagt? Dann sind sie ein Adoptianer, und können gleich Ihren Antrag auf Asyl in der Türkei oder in Jordanien stellen.

Nächste Behauptung:

- Jesus ist nur eine Erscheinungsform des einen und einzigen Gottes, der sich einmal als Vater, ein anderes Mal als Sohn und wieder ein anderes Mal als Heiliger Geist offenbart und wirkt.

Haben Sie auf „richtig" getippt? Wieder verloren! Als „Modalist" sind Sie ein Ketzer und haben all Ihr Eigentum verloren, natürlich auch Ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland.

Vorletzte These:

- Jesus ist im Verhältnis zu Gott Vater nicht wesensgleich (griechisch homo-ousios), sondern nur „gottähnlich" (homoi-ousios).

Richtig? Dann sind Sie ein Semi-Arianer oder noch schlimmer: ein Arianer, und können ebenfalls Ihre Koffer packen.

Und weils soviel Spaß macht, noch eine allerletzte Aussage:

- In Christus sind zwei Naturen, unvermischt und ungetrennt, in einer Person oder Hypostase verbunden.

Falls Sie jetzt - gewarnt durch die Fehler von vorhin - „falsch" gesagt haben, dann sind Sie kräftig reingefallen, und die Verbannung ist Ihnen schon wieder sicher. Denn diesmal stimmt der Satz; er ist sogar ein Dogma!

Ich hätte es Ihnen fairerweise schon zu Beginn sagen müssen: am sichersten wären Sie gegangen, wenn Sie in einem Dogmatiklehrbuch nachgeschlagen oder zumindest das Große Glaubensbekenntnis, das sogenannte Nizäno-Konstantinopolitanische, heruntergesagt hätten. „Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott; gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater. Durch ihn ist alles geschaffen ..."

Liebe Christen,

ein blödes Spiel, so könnte man meinen. Aber es ist kein Spiel, es ist historische Wirklichkeit. Enteignungen, Verbannungen, Prügeleien, Exkommunikationen und noch Schlimmeres waren die Begleitumstände des Glaubenskampfes, der im 4. und 5. Jahrhundert um die Dreifaltigkeitslehre tobte. Sicher, die braven Zusammenfassungen unserer Kirchengeschichte, die unsere Theologiestudenten zu studieren bekommen, übergehen vieles oder streifen es nur in Nebensätzen; aber wer sich die Mühe macht, Quellen zu studieren oder weniger tendenziöse Geschichtsbücher durchzuarbeiten, muß erschrecken vor soviel Fanatismus, Starrheit und Rachsucht. Und das alles im Namen des „wahren Glaubens"!

Wenn man noch dazu weiß, mit welch politischem Druck von außen (beispielsweise durch die Kaiser von Konstantinopel) solche Entscheidungen zustandekamen, läßt man besser die Finger von solchen Erörterungen.

Darf ich Ihnen ein Geständnis machen? Auch ich verstehe meist nur Bahnhof, wenn ich von einer oder mehreren Naturen Jesu, von Wesensgleichheit oder Wesensähnlichkeit höre. Auch ich kann mir keine rechte Vorstellung davon machen, was der Unterschied zwischen „gezeugt" und „geschaffen" ist, oder wie das Verhältnis des Heiligen Geistes zum Vatergott beziehungsweise zum Sohn beschaffen ist. Darum schlage ich eine Lösung vor, die mir persönlich einleuchtet, und die auch Ihnen vielleicht ein wenig helfen kann, ihren Glauben in der Praxis, im Alltag zu gestalten, auch wenn sie mit Sicherheit irgend einer bereits verurteilten Irrlehre nahekommt.

Ich gehe einfach davon aus, daß Gott die absolute Liebe ist. Das ist biblisch begründet, das steht fest: Jesus predigt im Grunde nichts anderes, und der 1. Johannesbrief faßt das in der prägnantesten Formel überhaupt zusammen: „Gott ist die Liebe" (1 Joh 4).

Was das bedeutet? Für mich ist das der Kern und Angelpunkt meiner Überzeugung und meiner Erlösung. Nicht ein unheimliches, fremdes, bedrohliches Wesen hat das All erschaffen und wirkt weiter in ihm. Wenn das so wäre, dann müßte ständige Angst unser Begleiter sein, und daraus folgend dauernde Anstrengungen, dieses angstmachende Wesen mit Leistungen zu beschwichtigen. Nein, der Urgrund all dessen, was existiert, ist pure Liebe! Auch wenn unser Leben oft ganz anders erscheint, brutal, lieblos, angsterregend - ich darf trotzdem darauf vertrauen, daß ich in seiner Liebe geborgen und sicher bin. Manchmal, wenn es mir gut geht und ich wache Augen habe, dann erkenne ich in der wundervollen, überreichen Natur diese fürsorgliche Liebe des Vaters, des Schöpfergottes also.

Diese Liebe kann man also erleben, erfahren, wenn man die Schöpfung liebt und sich an ihr erfreut.

Aber nicht genug: noch sehr viel deutlicher, noch viel eindeutiger können wir diesen Gott der Liebe auf eine andere Weise erkennen: nämlich im Menschen Jesus, der so sehr mit Gott verbunden war, daß alles, was er sagte und tat, genauso Gott gesagt und getan haben könnte. Mit einem Wort: in Jesus ist diese göttliche Liebe greifbar, anschaubar, hörbar geworden. Theologisch ausgedrückt: im Menschen Jesus ist Gott „Fleisch" geworden; oder in semitischer Ausdrucksweise: Jesus ist DER Sohn Gottes schlechthin!

Nun gibt es aber auch noch andere Gelegenheiten, diese unendliche Liebe Gottes zu erfahren. Und das ist immer dann der Fall, wenn Menschen im Geist dieser Liebe, im Geist Gottes also, reden und handeln. Ein Ehepartner, der zärtlich und einfühlsam mit Ihnen umgeht; ein wildfremder Mensch, der Ihnen helfend beisteht; eine Gemeinschaft, in der man sich wohlfühlt und geborgen ist - lauter Möglichkeiten, diese eine Liebe zu spüren. Anders ausgedrückt: wenn ich die absolute Liebe Gottes durch Mitmenschen erleben darf, dann nennen wir sie „Heiliger" oder deutlicher „Heilender" Geist Gottes.

Auch wenn unter meinen Internet-Interessenten häufig auch eine italienische Adresse auftaucht - obwohl ich leider nicht feststellen kann, ob sie römischen Ursprungs ist - ich habe wegen meiner selbstgebastelten „Dreifaltigkeitslehre" keine Angst. Denn Glaube ist sinnlos, wenn er sich nur in Theorien, in Denksystemen erschöpft - und seien sie dogmatisch noch so richtig! Glaube muß mich erlösen, befreien, heil machen - und das könnte meine Interpretation wohl leisten, wenn man sie immer wieder mal meditiert. AMEN

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