Eberhard Gottsmann verstarb am 23. August 2000
in Eschenbach i.d. Opf. im Alter von 52 Jahren
Am 1. August 2000 habe ich ärztlicherseits erfahren, daß ich einen fortgeschrittenen Lebertumor habe. Von Anfang an habe ich diese Tatsache akzeptiert und den weiteren Verlauf vertrauensvoll in die Hände Gottes gegeben. Dadurch habe ich keine sinnlosen Energien aufbringen müssen für inneres Aufbegehren oder für die Suche nach Strohhalmen, an die ich mich noch hätte klammern können. Dieses Geschenk des inneren Friedens habe ich täglich sehr, sehr dankbar erfahren. Die verbleibende Kraft diente der Ordnung meiner Angelegenheiten, der Ausarbeitung meines "Geistlichen Testaments" einschließlich meiner Beerdigungsliturgie und dem Trost, den ich vielen Freunden geben konnte, die weitaus belasteter durch mein "Todesurteil" waren als ich selbst.
Von allen meinen "Internetfreunden" verabschiede ich mich hiermit und wünsche Ihnen, daß Sie ebenfalls das Gottvertrauen aufbringen können und einmal dasselbe Geschenk des inneren Friedens erhalten, wie ich in meinen letzten Wochen.
Anstelle einer
Predigt:
Mein Geistliches Testament
Liebe Festgemeinde!
Sie haben sich nicht verhört, und es ist auch kein makabrer Scherz von mir: dieser gemeinsame Gottesdienst ist eine Feier, ein Fest. Denn jetzt, da dieser Brief verlesen wird, bin ich an meinem Ziel angekommen: bei Gott, meiner Erfüllung und meinem ewigen Glück. Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Die weiße Farbe der Meßgewänder, die frohen Lieder und Texte, und das fröhliche anschließende Beisammensein sollen das zum Ausdruck bringen.
In den Tagen seit meiner sicheren Diagnose hatte ich viele Gespräche, telefonisch und von Angesicht. Die meisten waren verwundert oder verunsichert über meine Gelassenheit, ja über meinen Humor - trotz des sicheren "Todesurteils". Daher möchte ich Ihnen sagen, was der Grund für diese Haltung war.
Jahrelang habe ich im Unterricht, in Vorträgen oder Bibelstunden begeistert von der Frohen Botschaft gesprochen. Ich habe meiner sicheren Zuversicht Ausdruck gegeben, daß unser Gott die absolute, unverlierbare, bedingungslose und stets verzeihende Liebe ist, die uns Menschen niemals schaden wird, sondern im Gegenteil heilen und glücklich machen möchte, und der man nur völlig und uneingeschränkt vertrauen kann. Wer mich kennt, weiß, daß das keine leeren Worte waren, sondern aus innerster Überzeugung kam.
Und trotzdem waren das nur "Trockenübungen". Denn ich hatte keine Ahnung, ob ich diese Überzeugung, dieses Gottvertrauen auch durchhalten könnte, wenn es mich einmal selbst trifft - und zwar endgültig. Heute kann ich Ihnen sagen: es hat durchgehalten und mich getragen, und nicht nur mich: auch meine unmittelbare Umgebung, die Freunde um mich.
Es tut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen: kein einziger Lehrsatz, kein einziges Dogma, keine einzige Moralvorschrift oder kein einziges Lehrschreiben konnte mir diesen Halt und diese freudige Gelassenheit vermitteln. Es war einzig und allein die Frohe Botschaft Jesu, die Botschaft von der unendlichen Liebe Gottes!
Und noch etwas habe ich in den letzten Tagen meines Lebens klar erkannt: diese Botschaft, die wirklich leben läßt - selbst im Angesicht des Todes - wurde jahrhundertelang in ihr Gegenteil verzerrt. Die Angst vor Gott und vor der Hölle war das Ziel von Predigten, Schuldgefühle wurden erzeugt und das Gewissen manipuliert, die Freiheit der Menschen wurde geknebelt - und das alles im Namen des liebenden Gottes! Wieviele Menschen haben dadurch ein verkrüppeltes Leben geführt, wie viele sind mit angsterfüllten Augen gestorben! Und das alles unter dem großartigen Titel: Frohbotschaft!
Ich will mich jetzt wirklich nicht über die Gründe für solch gotteslästerliche Lehren auslassen. Aber Ängste, Verdrängungen, unbewußte oder bewußte Machtgier der Verkündiger haben da sicher eine entscheidende Rolle gespielt.
Nein, das soll jetzt kein Thema sein, obwohl ich oft genug Wut und Zorn darüber empfunden habe. Ich möchte Ihnen vielmehr die Summe meiner Lebenserkenntnis sagen - in der Hoffnung, daß auch Ihr Leben so glücklich werden kann, wie es meines war, und in der Hoffnung, daß auch Sie einmal Ihrem Tod so vertrauensvoll entgegensehen können, wie ich es geschenkt bekam.
Die allerwichtigste Erkenntnis habe ich bereits erwähnt. Es ist die Botschaft, daß Gott kein rachsüchtiger, kleinlicher Tyrann ist - so wie wir es oft selbst sind - sondern die reine, pure Liebe. Und zwar eine Liebe, die keinerlei Bedingungen kennt, die man niemals verlieren kann (wenn man sich nicht selbst dagegen sperrt), und die unendlich groß ist. Das Gleichnis vom Guten Vater - über das ich immer wieder meditiert habe - bestätigt dieses Gottesbild nur.
Wichtig ist aber, daß diese Gottesvorstellung nicht immer wieder von menschlichen Vorstellungen verfälscht wird. Denn in uns allen steckt gleichsam eine natürliche Furcht von einem unheimlichen, gefährlichen Wesen, das man mit Geschenken (also Opfern) oder schönem Reden (also ellenlangen Gebeten) beschwichtigen muß. Aber Jesus hat ein für alle Mal klargestellt: das sind rein menschliche Vorstellungen. Und die haben mit dem wirklichen, wahren Gott nicht das geringste zu tun!
Dazu kommt, daß wir all unsere kleinlichen Rachegedanken (wir nennen es "Gerechtigkeit") auf diesen Gott projizieren. Daher können wir es einfach nicht fassen, daß dieser Gott eine ganz andere Art von Gerechtigkeit übt. Würden wir endlich einmal die Vorstellung vom liebenden Gott konsequent weiterdenken, kämen wir von selbst drauf: Liebe rächt sich nie! Liebe beschränkt niemals die Freiheit! Liebe zwingt nie! Liebe gebraucht nie Gewalt! Seine "Gerechtigkeit" ist ein Rechtmachen, ein In-Ordnung-bringen. Seine "Strafe" ist eine Straffung dessen, was egoistisch verkrümmt ist. Und seine "Vergeltung" ist ein Geltenlassen dessen, was wir in Freiheit tun.
Natürlich müssen wir da mitmachen - wie gesagt, Liebe kann nicht zwingen. Und genau da beginnt meine zweite Erkenntnis, die mir vor allem die Tage vor meinem Tod so geholfen hat. Und die lautet:
Wenn Gott, wie Jesus sagt, die pure Liebe ist, dann will und wird er uns nie etwas Böses. Dann wird immer zum Heil und Glück führen, was immer er an uns tut. Nur: seine Liebe setzt sich in unserer Freiheit ihre Grenze. Wollen wir nicht mitmachen, kann uns Gott auch nicht in Ordnung bringen, heil machen. Ein Vergleich: wie kann ein Zahnarzt meine kariösen Zähne sanieren, wenn ich das Maul nicht aufmache? Und darum habe ich schon viele Jahre versucht, die einzig passende Antwort auf seine Liebe einzuüben: ihm immer mehr zu vertrauen und ihn nur machen zu lassen, in der Gewißheit, daß es zu meinem Besten ist, auch wenn ich es ganz anders haben möchte oder noch nicht einsehen kann. Das war oft gar nicht einfach, und in schweren Fällen habe ich viele Monate gebraucht, Ja zu sagen und seinen Willen restlos anzunehmen. Und wenn ich geglaubt habe: "Jetzt kann ich es!", dann hat mich Gott in eine neue Situation gestellt, in der ich erkannt habe, wie wenig weit mein Gottvertrauen gediehen war.
Ich bin am Ende meines Lebens zur Überzeugung gekommen, daß der Hauptsinn meines - und wahrscheinlich auch Ihres - Lebens darin besteht, dieses Vertrauen immer stärker einzuüben.
Nebenbei: Ist es nicht interessant, daß "Glaube" im Sprachgebrauch der Kirche meist "Fürwahrhalten von Lehrsätzen" bedeutet, in der Sprache Jesu dagegen immer "Vertrauen"? Paßt sehr gut zur Kritik von vorhin. Immer wieder ermuntert uns Jesus, diesem liebenden Gott Vertrauen entgegenzubringen: "Vertraut auf Gott - vertraut auf mich" - "Wenn ihr nur Vertrauen so groß wie ein Sandkorn hättet, ihr könntet Berge versetzen" - "Habt ihr denn so wenig Vertrauen?"
Es ist aber nicht so, als würde Gott verlangen, einfach in den Nebel hinein zu vertrauen. Fast immer hat er mich - aber immer erst nach einem solchen Test - einen Sinn erkennen lassen, der mir während der "Katastrophe" völlig verborgen geblieben ist. Wenn man das immer und immer wieder erlebt, muß man schon ein ganz mieses Gedächtnis haben, wenn man nicht allmählich ein großes, tragendes Sinngefüge im Leben erkennen kann.
Dieses Vertrauen habe ich lebenslang einüben können, und habe es auch getan. Es wäre wirklich zu spät gewesen, hätte ich erst im Moment der Todesdiagnose zu üben begonnen. Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: übt man dieses Vertrauen immer wieder in kleinen "Schicksalsschlägen", dann trägt es auch beim letzten "Schicksal", dem Tod!
Ich bin Gott unendlich dankbar, daß er mir das Geschenk dieses Vertrauens gemacht hat und mir ermöglicht hat, damit auch andere anzustecken. Mein Anteil war ja nur, mich ihm immer wieder zu öffnen - denn im Grunde ist alles seine Gnade: das Leben selbst, die Erkenntnisse, die man gewinnt - und vor allem dieses Gottvertrauen, das auch in schwersten Stunden in wunderbarer Weise trägt und hält.
Daher gilt mein Dank auch ihm allein, wenn ich jetzt zusammenfasse, durch wen er mir Zeit meines Lebens Liebe und Vertrauen vermittelt hat:
- durch meine Eltern und Geschwister,
- durch manche meiner Lehrer und Schüler,
- durch einige meiner Mitbrüder,
- durch viele meiner Freunde, ganz besonders durch ganz bestimmte Engel, auf die ich mich immer bombenfest verlassen konnte und die mich in den letzten Tagen und Wochen meines Lebens so liebevoll gepflegt haben.
Vielleicht verstehen Sie nun, warum ich diesen Gottesdienst als Freudenfest betrachte: ich habe es nun geschafft, ich bin am Ziel, geborgen in der unendlichen Liebe, der mich nichts und niemand mehr entreißen kann. Dafür hat es sich gelohnt zu leben, und dafür hat es sich gelohnt, oft hart zu lernen.
Mein Wunsch für Sie alle:
- daß auch Sie erfahren, daß dieses Gottvertrauen auch in schwersten Zeiten trägt und hält,
- daß Sie sich nicht vergiften lassen von einer falschen Gotteslehre, und käme sie aus höchsten kirchlichen Kreisen,
- daß Sie ihre gottgeschenkte Freiheit bewahren und sich von keiner totalitären Hierarchie, von keinem noch so "wohlmeinenden" Freund oder Verwandten vom als richtig erkannten Weg abbringen lassen,
- daß Sie stets einzig und allein Ihrem eigenen Gewissen und Ihrem eigenen Verantwortungsgefühl verpflichtet fühlen - und beides niemals durch einen anderen Menschen, auch durch keine "Autorität" ersetzen lassen,
und schließlich:
- daß Sie die Liebe und Vergebung, die Sie täglich von Gott empfangen, als "Engel" an andere weitergeben.
Denken Sie daran: ich kann Ihnen nun näher sein als jemals im Leben - und es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann wir uns wiedersehen. Ich freu mich drauf!
AMEN
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